Von unserem Mitarbeiter Michael Dumler, Kempten - 'Ich musste nicht lange überlegen, bis mir die passenden Noten einfielen, die Musik kam aus dem Bauch', hat Martin Böttcher einmal über seine Kompositionen zu den Karl-May-Filmen der 60er Jahre mit Pierre Brice und Lex Barker gesagt. Böttchers 'Winnetou'-Melodie ist ein Klassiker der Filmmusik, dessen Charme man sich auch 40 Jahre nach seiner Entstehung kaum entziehen kann - vor allem dann nicht, wenn sich zwei so brillante Musiker wie René Giessen (Mundharmonika) und Andy Miles (Klarinette) auf die Spuren des Apachenhäuptlings begeben. Aber bei ihrem 'Crossover'-Konzert in der Kultbox in Kempten gab es noch andere Streicheleinheiten für Ohren. Ein Konzert voller Wohlklang, ohne Ecken, Kanten und Abgründe. Giessen und Miles, die zwei Seelenverwandten, lieben das über den Tellerrand hinausspielen. Wer die beiden hört, meint am Ende, es gibt keine Musikstile, sondern einfach nur gute, schöne Musik. Denn die beiden haben ein hundertprozentiges Gespür für die Rosinen auf dem weltmusikalischen Markt.
Ein wenig gepflegter Jazz (Summertime, It ain't necessarily so), gefühlvolle Filmmusik (Schindlers Liste, Winnetou, Spiel mir das Lied vom Tod), Klassik von Bach bis Rodrigo, ein Abstecher zum Musical (Cats), temperamentvoller Flamenco und aufwühlender argentinischen Tango á la Astor Piazzolla Tango - die Mischung, Crossover eben, mag bunt, verwegen oder süßlich sein. Ein Hörvergnügen ist es allemal, wie beide - Andy Miles, der seit 1992 als Soloklarinettist beim WDR-Rundfunkorchester agiert - und Mundharmonika-Star René Giessen aus ihren Instrumenten ungemein suggestive Töne und Melodien hervorzaubern. Vor allem Andy Miles ist es, der immer wieder mit traumwandlerischen, gefühlvollen Improvisationen Grenzen überschreitet, ein klassisches Stück etwa fast unbemerkt in den Jazz überführt und wieder zur Klassik zurückkommt. Große Kunst ist diese Verwandlung. Zur Seite steht dem Duo Giessen/Miles an diesem Abend der Wangener Klaus Roggors (Keyboards, komponierte Filmmusik zu 'Tatort'-Folgen), das Blechbläserquintett 'Brassando' mit dem jungen, außergewöhnlichen Solotrompeter der Stadtkapelle Isny, Rafael Ohmayer, sowie das zwölfköpfige Streichorchester der Russischen Staatsphilharmonie Tscheljabinsk. Das von Giessen dirigierte junge Streichensemble agiert zunächst zwar etwas zögerlich, lässt Tiefe vermissen. Mit fortlaufender Dauer aber erarbeitet es sich einen feinen, transparenten Klangteppich, der für Miles' Klarinette und Giessens chromatische Mundharmonika wie geschaffen ist. Ein Konzert, das etwas mehr Zuhörer verdient gehabt hätte. Denn die meisten, die gekommen waren, zeigten sich begeistert und spendeten den Musikern viel Applaus.