Friedhöfe als Zeugen der Geschichte und des Geschmacks Heute ist Schlichtes und Individuelles gefragt Oberallgäu Stille liegt über der letzten Ruhestätte für die Bewohner von Schöllang, Rubi und Reichenbach. In anderen Friedhöfen herrscht jetzt, kurz vor den stillen Tagen Anfang November, hektische Betriebsamkeit. Auf dieser Insel, fernab von jedem Dorf, auf einer Anhöhe ist davon nichts zu spüren. Hier ruhen die Toten in Frieden. In Gräbern, deren Schmuck den kulturellen Wandel eines Jahrhunderts widerspiegeln. Der kleine Bergfriedhof, genannt die Schöllanger Burg, verdankt seine Einzigartigkeit im Oberallgäu seiner Lage, etliche Kilometer von Dörfern entfernt. Für die Angehörigen bedeutet das, dass sie zu Grabpflege und Beerdigung das Auto benutzen oder einen langen Fußweg auf sich nehmen müssen. Entschädigt werden sie dafür mit einer Grabstätte, die durch den weiten Blick auf die Oberstdorfer Berge und die wohltuende Ruhe genau das vermittelt, was angesichts des Todes Hoffnung gibt: Frieden in Ewigkeit. Mag dieser Wunsch Sterbenden und Angehörigen, Städtern und Dörflern gemeinsam sein: Was auf den Gräbern, in Schöllang und anderswo im südlichen Oberallgäu, steht, ist so vielfältig wie es die Menschen sind. Und spiegelt den Zeitgeschmack wider. Zum Beispiel der Friedhof in Immenstadt. Dort sind noch steinerne Zeitzeugen einer Kultur zu finden, die hohe, schwarze Grabdenkmäler in Form von Obelisken mit der bildhauerischen Handschrift der Gründerzeit oder einem steinernen Engel im Symbolismus favorisierte. Die meisten der wenigen 100 bis 150 Jahre alten Steine, die noch da sind, gehören der Stadt außer es gibt Nachkommen dieser Familiengräber. Sterben die aus oder wollen sie einen neuen Stein, kauft die Stadtverwaltung die Antiquität, um ein Denkmal früherer Grabkultur der Reichen zu bewahren.
Spiegel der Persönlichkeit Auch heute setzen diejenigen, die es sich leisten können und wollen, auf Individualität. Nach einer Zeit der Gleichmacherei in der Architektur wie in der Grabgestaltung steigt die Nachfrage nach Steinen, die den Verstorbenen, seine Person widerspiegeln, meint Steinmetzmeister Herbert Baldauf. Genauso wie gesichtslose Hochhäuser oder Plattenbauten der Vergangenheit angehörten, seien auf Hochglanz polierte, uniform gestaltete Steine, nur mit dem Namen, Geburts- und Sterbedatum versehen, nicht mehr so verbreitet wie in den 60er Jahren. Die Jungen wollen natürliche, individuelle und symbolhafte Gestaltung und moderne Formensprache, denkt der mehrfach ausgezeichnete Steinmetzmeister. Baldauf hat sich aber auch auf diese Klientel, die im Einzelfall tiefer in die Tasche greift und 8000 Euro oder mehr für die Grabgestaltung bezahlt, spezialisiert. Dafür ziehen dann Grabsteine die Augen auf sich, die verschiedene Materialien vereinen, durch ungewohnte Formen auffallen, durch Inschriften eine Philosophie des Verstorbenen widergeben. Oft arbeitet Baldauf mit dem Schmiedemeister Michael Fritz in Mittelberg zusammen. Weil im Kleinwalsertal in Riezlern, Hirschegg und Mittelberg hochglanzpolierte Grabsteine nichtmehr genehmigt werden sie entsprechen nicht dem Charakter eines Bergfriedhofs (Friedhofsverwalter Bernd Schuster) sind (nicht nur) dort die individuell von Fritz entworfenen, schlichten schmiedeeisernen Kreuze an neu angelegten Gräbern verbreitet. Im Gegensatz zu den alten, oft dem üppigen Barock entlehnten Kreuzen, verziert mit ausladenden Blättern, Rosetten und Schnörkeln, betonen die Fritz-Kreuze die ursprünglichen geraden Linien der Horizontalen und Vertikalen. Bei aller Schlichtheit versucht der Gestalter den Charakter des Verstorbenen, das, was ihn ausmachte, in Formensprache zu übersetzen. Das können zwei eingearbeitete Tränen sein oder aufstrebende, klare Linien für einen klar denkenden Menschen aber auf keinen Fall etwas vielfach Lackiertes, Protziges, Großkopfetes. Wird so etwas verlangt, verzichtet Fritz schon mal auf einen Kunden. Auch Steinmetzmeister Herbert Herz in Sonthofen hat die Erfahrung gemacht, dass heute Schlichtes eher gefragt ist als Überladenes: Keiner will, wie früher häufiger, seinen Reichtum am Grab demonstrieren, weiß der 58-Jährige. Auch für den konventionellen Geschmack ist die Vielfalt an Steinen im Vergleich zu früher enorm gewachsen, blickt Herz auf eine Grabstein-Ära von drei Generationen in seiner Familie zurück. Und an einer Politur kann er nichts Schlechtes finden: nicht nur, weil der Stein dann leichter zu pflegen ist, sondern weil durchs Polieren die Einzigartigkeit, die Farbe und die Maserung eines Steins, erst richtig zur Geltung kommt.