VON INGO BUCHELT |NesselwangNoch viel Arbeit liegt vor der Bürgerwerkstätte "Skigeschichte Nesselwang". Für die geplante Ausstellung im neuen Torgebäude müssen zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos gesichtet, Pokale und Ausrüstungsgegenstände ausgewählt und Texte entworfen werden. 80 Paar historische Ski haben Bürger den Ausstellungsmachern überlassen, darunter ein 2,41 Meter langer Langlaufski, den Hans Ott 1920 im Rennen gelaufen hat. Zusammen mit seinen Mitstreitern hat Initiator Helmut Böck eine Auswahl getroffen, welche die gesamte Skientwicklung abdeckt. "Ich hätte nie gedacht, dass so viel zusammenkommt", freut sich Böck.
Im nordischen Skisport unter den führenden Skiclubs Deutschlands
Böck, Reinhold Mayr, Erwin Keller, Xaver Hindelang, Georg Sutter und Herbert Eberle gehörten zum Nachwuchs des Skiklubs Nesselwang (SKN), als dieser nach dem Zweiten Weltkrieg eine glanzvolle Ära einleitete. Er galt damals als einer der führenden Skiclubs Deutschlands im Nordischen Skisport. Schon als Schüler und Jugendliche machten sie mit zahlreichen Siegen und Meistertiteln von sich reden. In den fünfziger Jahren dominierten sie den Nordischen Skilauf im Allgäu und gewannen bayerische und deutsche Meisterschaften. Die Vereinsstaffel mit Sutter, Eberle, Hindelang und Böck wurde von 1953 bis 1958 sechsmal hintereinander Allgäuer Meister.
Der Reihe nach: Als am 27. April 1945, kurz vor Kriegsende, von Kempten her amerikanische Panzer in Nesselwang einrollten, hörte der Skiklub auf zu existieren. Die amerikanische Militärregierung verbot jede Vereins- und Wettkampftätigkeit. Doch schon bald erkannten die Militärbehörden, dass die Vereinsarbeit für das gesellschaftliche Leben auf dem Lande unverzichtbar war. Nicht einmal ein Jahr später, am 30. Januar 1946, wurde der Skiklub Nesselwang neu gegründet und nahm am 3. Februar 1946 seine Aktivitäten mit einem Übungsspringen beim Sportheim Böck auf - mit Altmeister Ludwig Böck auf einer Schneeschanze.
Zu Fuß, per Fahrrad, auf Ski und Lastwagen zum Wettkampf
Bis zur Neuorganisation des Verbands- und Wettkampfwesens veranstalteten die Vereine überall im Allgäu Kameradschaftsspringen und Vereinsrennen. Lag der Wettkampfort in der Nähe, kamen die Sportler zu Fuß, auf Ski oder per Fahrrad, wenn die Straßen schneefrei waren. "Nach Oberstdorf sind wir bei gutem Wetter mit dem Lastwagen gefahren, auf die Ladefläche wurde eine Bank gestellt", erinnert sich Böck. Die Wettkampfausrüstung borgte man sich aus. "Wir durften Ski und Schuhe von den Großen leihen, wenn sie uns auf die Rennen schickten", so Hindelang.
Skispringen war Volkssport. Beim Jugendskitag, dem ältesten in Deutschland, den der SKN seit 1913 jährlich ausrichtet, stand Springen auf dem Programm. Fast jeder Ortsteil hatte eine Schneeschanze: im Oberen Markt auf "Dosers Halde", auf der "Thaler Viehweide", auf "Otts Halde" und bei der Wank-Schanze. Hier trafen sich die Jungen, "tappten" gemeinsam den Aufsprunghügel ein und maßen ihre Kräfte. Im Fasching sprang man maskiert, zwei nebeneinander.
Im SKN hatte Jakob Kuhn, Heeresbergführer und Sportlehrer, das Training übernommen, ein Glücksfall für die jungen Skisportler. Der "Kuhn Jackl" war Mayr zufolge seiner Zeit voraus und zog ein systema-tisches, vielseitiges Training auf. Dauerlauf, Gymnastik, Geräteturnen gehörten ebenso zum Programm wie Spiele und sogar Ringen.
Ein weiteres Plus für die Nesselwanger war, dass Vereinsgründer und Förderer Hans Riefler über seine Geschäftskontakte skandinavische Wachse besorgte. "Habt ihr wieder Skiva gewachst?", hieß es neidvoll, wenn die gefürchtete Nesselwanger Staffel an den Start ging.