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Gläserne Unikate aus der Hitze des Feuers

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Gläserne Unikate aus der Hitze des Feuers

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    Neugablonz (avu). - Dass viele alte Handwerkskünste ausgestorben sind, ist eine bekannte, wenn auch traurige Tatsache. Es gibt aber auch Techniken, die eine Renaissance erleben. In der Berufsfachschule für Glas und Schmuck in Neugablonz wird heute wieder die Kunst des Perlenwickelns gelehrt. Die ausgebildete Schmuckgürtlerin und Lehrerin Susanne Kindler-Bodammer führt alle Schüler der Berufsfachschule, egal ob sie Silber- oder Goldschmied, Graveur oder Glas- und Porzellanmaler lernen, in diese fast vergessene Technik ein. Die Faszination ist geblieben: 'Man muss sich beim Glaswickeln den pysikalischen Gegebenheiten unterordnen', so die Lehrerin. Denn das Glas lässt sich nur bearbeiten, solange es weich ist. Aber genau dieser Zustand des Stoffes, aber auch die Arbeit am Feuer 'regt die Phantasie an', sagt sie. Zudem werde der 'ganzheitliche Ansatz' betont. 'Wir produzieren Glasperlen nicht wie am Fließband ins Blaue hinein', sagt die 54-Jährige. Denn die Unikate werden weiterverarbeitet, etwa in einem Schmuckstück mit edlem Metall kombiniert. Die Berufsfachschule hat damit eine Technik aus dem alten Böhmen rekultiviert. Dort sei der Perlenwickler ein Anlernberuf gewesen, erzählt Susanne Kindler-Bodammer. Die Industrie nahm die Prüfung ab, aber ein Meistertitel war nicht nötig, um einen Betrieb zu führen. Der Niedergang den Berufs war allerdings mit der Vertreibung der Sudetendeutschen vorgezeichnet. Die Technik des Glaswickelns wurde zwar in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Ausbildung zum Schmuckgürtler noch gelehrt, doch der Grund für das Aus war ein profaner: Den in Deutschland geforderten Meistertitel für die Übernahme eines Unternehmens gab es in einfach nicht. Mit der Berufsreform in den 70er-Jahren wurde die Kunst nur noch in den Lehrplan der Goldschmiede integriert. In den Anfangsjahren zahlreich, gibt es heute nur noch vereinzelt Betriebe, die Perlen nach dem alten Vorgehen wickeln. Susanne Kindler-Bodammer weiß von der Firma Gubo & Sohn in Neugablonz, wo die Technik bis in die heutige Zeit überlebt hat. Oder von der Berufsschule in Lauscha/Thüringen, wo es bis zur Wende das Fach Glaswickeln gab. Heute allerdings, da ist sich die Lehrerin sicher, ist die Neugablonzer Berufsfachschule der einzige Ort, wo die Kunst schulisch vermittelt wird.

    Der eigenen Lehrerin gefolgt Susanne Kindler-Bodammer war vor drei Jahrzehnten selbst Schülerin an der Berufsfachschule in Neugablonz. Ihre Eltern stammten aus Nordostböhmen, sie selbst in Obergünzburg geboren. Damals lernte sie Schmuckgürtlerin und speziell das Glaswickeln bei Eva Pfeifer, die es wiederum vom alten Fachlehrer Appelt abgeschaut hatte. Der hatte die Kunst noch aus Altgablonz mitgebracht. Nach ihrer Gesellenprüfung und einem Intermezzo in der Modeschmuckbranche studierte Susanne Kindler-Bodammer Lehramt und kehrte 1988 'wegen ihrer alten Liebe' an die Schmuckfachschule zurück - als Nachfolgerin ihrer damaligen Lehrerin Eva Pfeifer. Als treibende Kraft hatte sich auch der frühere Direktor Gerhard Glüder gezeigt, der die schuleigene Werkstatt für das Glaswickeln nie ganz geschlossen und 'immer den künstlerischen Aspekt betont hat'. Susanne Kindler-Bodammer trägt die alte Technik mittlerweile in alle Welt - vergangenes Jahr war sie in Madrid, kürzlich in Washington D. C. Auf Initiative der Handwerkskammer hatte sich dort der Freistaat Bayern mit aufstrebenden Unternehmen und altem Handwerk ('Laptop und Lederhose') auf dem Gelände der Deutschen Botschaft präsentiert. Damit hat es die alte Handwerkskunst aus Böhmen sogar bis über den Großen Teich geschafft - nachdem sie schon fast ausgestorben war.

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