Die Ambulanzbühne 'Der Grüne Wagen' packte allerlei in Nestroys 'Frühere Verhältnisse'Von Stefan Dosch Kaufbeuren In Zeiten wie diesen, in denen für die umfanreicheren Geschichten angeblich keiner mehr Zeit hat, ist einer wie Nestroy gerade der Richtige. Zumindest der späte Nestroy der 'Früheren Verhältnisse'. Wie er in dem Einakter praktisch vom ersten Satz an das Personenkarussell in Bewegung versetzt, indem er Frau Professorentochter nebst Ehegatten sowie ein gemischtes Angestelltendoppel in knapp geschnittenen Dialogen Stück für Stück entdecken lässt, dass sie allesamt untereinander durch pikante 'Frühere Verhältnisse' verbunden sind, was dem einen ganz und gar nicht, dem anderen dagegen ganz ungemein gelegen kommt das weist Johann Nestroy eindrucksvoll als einen Meister von Tempo und Ökonomie der Komödie aus.
Verflixt nur, dass die Verhältnisse, geht es nach Nestroys Wortlaut, nach nicht mal einer Stunde schon restlos geklärt sind. Welcher Besucher aber geht schon gerne um acht ins Theater, wenn er um neun schon wieder zu Hause sitzt, mag sich das Team vom Tourneetheater 'Der Grüne Wagen' gedacht haben. Weshalb man auf die Methode verfiel, das kompakte Original mit allerlei Extrawürsten zu mästen, angefangen mit allerlei Zusatz-Couplets über Schiller-Monologe bis hin zu einem parodistischen Potpourri aus Mozarts 'Zauberflöte'. Das brachte nicht nur rasche Sättigung und nachfolgende Mattigkeit mit sich, sondern ließ vor allem die von Nestroy sorgsam kalkulierte Spannung, welche der Figuren durch ihr Vorleben denn nun auf der Strecke bleiben wird, über weite Passagen ins Leere laufen.
(Zu seltener Größe schwang sich freilich Regisseur Adi Hirschal auf, der in die Szene durchweg einen zwar stummen, gleichwohl fingerfertigen Pianisten eingebaut hatte zur Live-Begleitung der Couplets. Der nun gönnt sich zwischendurch, wenn man so will als miteinkomponierte Bruchstelle, ein Nickerchen auf dem Deckel seines Klaviers.)
'Der Grüne Wagen' bei Nestroy gibt es für wandernde Ensembles die schöne Bezeichnung 'ambulante Bühne' hat seine Heimat in Wien, und das in Nestroy-Aufführungen stets ein zusätzliches Gewürz: Denn in welch anderem deutschen Idiom klingen 'Neid' und 'Freud' schon so reimschön zusammen? Die Mehrzahl des Komödiantenquartetts machte denn auch ausgiebig Gebrauch von diesem naturverliehenen Ausdrucksmittel, voran Helmut Schuster, der den Holzhändler Scheitermann als jammrig-wienernden Schafskopf gab. Wie er im gescheckten Hausmantel, die Händchen zu Krallen verformt, in furchtbarer Erregung den Tiger mimte, gehörte zu den Höhepunkten des burlesken Spiels.
Mithalten, gar noch einen Trumpf dazu legen konnte da nur Linde Prelog als Peppi Amsel, der singend die glaubhafte Erklärung gelang, weshalb sie beim Theater nicht zu reüssieren vermochte. Natalie Obernigg kompensierte den Makel des 'Weiberls' Josefine, dass die verhältnismäßig wenig bescholtenen halt auch die am wenigsten interessanten Charaktere sind, mit reizvoller Kapriziosität, während Thomas Egg den zum Hausknecht abgestiegenen Herrn doch etwas sehr hemdsärmelig ausstaffierte. So oder so, das Publikum im Stadttheater genoss die Aufdeckung der 'Früheren Verhältnisse' lauthals. Wie war das noch gleich mit den früheren Verhältnissen? Natalie Obernigg als Josefine (hinten) und Linde Prelog in der Rolle der Peppi Amsel. Foto: Hildenbrand