"Ich hab das Gedicht ein paarmal gelesen und mir dann überlegt, wie ich mein Bild aufbaue. Es sollte weniger räumlich sein, mehr eine Traumwelt", erklärt Katja Zitt. Die 17-jährige Schülerin des Carl-von-Linde-Gymnasiums fühlte sich von dem Erwin-Thiemer-Gedicht "Regnerischer Junimond" (siehe oben) angezogen und setzte es mit Wasserfarben in ein atmosphärisches, vielschichtiges Bild um. Zu sehen ist es in einer Ausstellung im Künstlerhaus in Kempten: Über 200 Schülerinnen und Schüler der drei Kemptener Gymnasien haben sich im Kunst- und Deutschunterricht mit der Lyrik des Kemptener Dichters Erwin Thiemer (1909 - 1995) auseinandergesetzt. Die fantasievollen, teils nachdenklichen, teils witzigen Ergebnisse sind bis Mitte September auf zwei Etagen zu sehen.
Es ist ein außergewöhnliches Projekt, initiiert von Hans-Jürgen Thiemer, dem Sohn des Dichters, der im April 100 Jahre alt geworden wäre. Nach einer Ausstellung in der Stadtbibliothek (noch bis Ende Juli, Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr) und der Herausgabe des Lyrik-Bandes "Flugspur der Stunden" ist es die vierte, in Kooperation mit dem Kulturamt der Stadt entstandene Aktion im "Erwin-Thiemer-Lyrikjahr".
Erlebnisse münden in Collage
Vor allem Gedichte unmittelbaren Erlebens beschäftigten die Kemptener Gymnasiasten. Anna Schneid beispielsweise. Die 18-Jährige belegt im "Hilde" den Deutsch-Leistungskurs. In den Ferien hatte sie an einem Strand auf Korsika ein ähnliches Erlebnis wie Erwin Thiemer es in "Aufziehendes Gewitter" beschreibt (siehe oben).
Ihre Collage besteht aus Text und verfremdeten Vogelfotos. "Vögel spielen bei Thiemer eine große Rolle", sagt die Wiggensbacherin. Vielgestaltig ist die Schau: Es gibt Bilder in verschiedenen Techniken, Collagen, Fotoserien, Installationen und Rätsel-Bilder zum Mitmachen und an Thiemer angelehnte Gedichte. "Die Gedichte sind wie Spielbälle, die man aufs Fußballfeld geworfen hat", sagt Hans-Jürgen Thiemer und freut sich über die intensive Auseinandersetzung der Jugendlichen mit den Werken seines Vaters. "Viele Schüler haben sich über den Unterricht hinaus in ihrer Freizeit mit der Lyrik beschäftigt", weiß Deutschlehrer Johannes Seuser vom Allgäu-Gymnasium. Dies bestätigt auch sein Kollege vom Hildegardis-Gymnasium, Dr. Georg Tannheimer, der rund 70 Sechst- und Zwölftklässler betreute.
"Die Gedichte sind sehr bildstark. Da findet jeder schnell einen Zugang", urteilen Kunsterzieher Thilo Bölle und Deutschlehrer Dirk Brunschweiger (Carl-von-Linde-Gymnasium). Wie aktuell, erfrischend Thiemers Gedichte heute noch sind, zeigten Schülerinnen und Schüler des "Hilde" bei der Vernissage: Da wurde nicht nur rezitiert, sondern fein gesungen, gespielt und frech gerappt.
Öffnungszeiten der Ausstellung im Künstlerhaus (Beethovenstr. 2): Montag bis Samstag 10-20 Uhr, So. 12-18 Uhr.