Von Andreas Filke, Marktoberdorf Nicht enden wollender Applaus im Stehen, das Publikum trampelt mit den Füßen auf den hölzernen Boden. Das Modeon bebt. Wann hat es solche Augenblicke der Begeisterung zuletzt gegeben? Viele Zuschauer fanden nach der Vorstellung nur einen Ausdruck, der das eben auf der Bühne Gesehene beschreibt: 'Phantastisch.' Innerhalb von zwei Stunden hatte der Chinesische Nationalcircus große und kleine Menschen in seinen Bann gezogen, der sie noch lange danach fesselte. Es war eine dieser Veranstaltungen, die die Allgäuer Zeitung präsentierte, von der es heißt: Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst. Und das, obwohl Fragen offen blieben. Die Frage zum Beispiel: Besitzen die Künstler aus dem Reich der Mitte überhaupt Knochen? Mit schier unglaublicher Leichtigkeit verbogen sie ihre Körper, balancierten dabei kleine Glaspyramiden, schoben sich nur durch die Kraft der Beine aus dem Spagat in den Stand und ließen im Vergleich dazu Pop-Ikone Michael Jackson mit seinem 'Moonwalk' ganz schön blass aussehen. Bei den Chinesen taugte, so schien es, der einarmige Handstand allenfalls als Aufwärmübung. Beantwortet wurde hingegen von den Künstlern die Frage, wie Marktoberdorf den Stadtverkehr preiswert lösen kann: indem sich zehn Personen irgendwie auf einem Fahrrad verhaken und so ihre Runden drehen. Sicher, zu glauben ist das kaum. Ebenso wenig, mit welcher Perfektion einfache Diabolos durch die Luft geschleudert und vor allem nach rasch erfolgten Übungen wieder aufgefangen wurden. Oder wie es möglich ist, Schirme und Tücher gleichzeitig mit Händen und Füßen so flink tanzen zu lassen, dass es einem fast schwindelig wurde.
Wie gesagt: Kaum zu glauben. Das galt auch für die wahren 'Herren der Ringe', die kreuz und quer durch sich drehende Ringe sprangen: mal gestreckt, vorwärts und rückwärts, und nach einer Drehung in der Luft mit dem Allerwertestem zuerst. Auf solche Gedanken muss jemand erst einmal kommen. Zehn rotierende Teller, von zwei zarten Händen per Stangen voran getrieben, Tänze auf einen durchhängenden Seil, Hebeakrobatik und vier löwenähliche Wesen, die auf Kugeln gemeinsam über eine Wippe rollten, Jonglage mit acht Ringen - in allen Vorführungen steckte perfekte Präzision, erstaunliche Dynamik, vollkommene Körperbeherrschung. Da war sie also wieder, die Frage: Wie machen die Chinesen das bloß? 'Sie setzen unverrückbare Maßstäbe im Staunen', hieß es in der Ankündigung. Stimmt. Dazu zählte die Nummer der Einradartistin, die per Fuß eine Reisschale nach der anderen in die Luft wirbelte und mit dem Kopf fängt. Ferner platzierte sie vier Schalen, gegeneinander versetzt, auf ihrem Fuß, nahm Schwung und - klack, klack, klack, klack - fing alle richtig sortiert mit dem Kopf auf. Und weil es so schön war, balancierte sie mit dem Mund ein Gestell mit einer Teekanne. Deckel der Kanne und Tasse kamen bald nachgeflogen. Folge: Der Tee floss in die Tasse. Kein Wunder, dass der Vortrag für den 'Goldenen Clown' 2003, den Zirkus-Oscar, beim Festival der weltbesten Artisten in Monaco nominiert ist. Was Fürst Rainier bald staunen lassen wird - die Marktoberdorfer haben's gesehen. Applaus, Applaus, Applaus.