Von Verena Stitzinger, Füssen - Vor ihm liegt ein Din-A-4-Blatt. Aufgeteilt in viele kleine Quadrate ist es dicht beschrieben: Es ist der Trainingsplan von Hans-Joachim Stürzbecher. Für jeden Tag der dreimonatigen Vorbereitungszeit ist dort eine Einheit eingetragen. Der 46-jährige Füssener trainiert für den nächsten Marathon, drei solcher Wettkämpfe absolviert er jedes Jahr. Stürzbecher ist Läufer. Doch nicht nur das: Als Lauftherapeut bringt der praktizierende Arzt auch Patienten das sportliche Laufen bei und will so ihre Krankheiten mildern und ihre Lebensfreude stärken. 'Laufen war immer mein Sport', sagt der in Buching und Hohenschwangau aufgewachsene Stürzbecher. Der Marathon war allerdings keine 'Liebe auf den ersten Blick': Der erste hat ihm überhaupt nicht gefallen, 'es war eine Plagerei', erinnert er sich. Doch es sei auch eine 'Faszination gewesen, diese Strecke zu bewältigen'. Und schon bald wollte er 'mehr daraus machen'. So begann er vor rund zehn Jahren das Training konsequent, sogar professionell anzupacken: 'Ich hatte gute Kontakte zu Profisportlern, die haben mir viel geholfen', schildert er. Um die 35mal ist er seitdem die Marathonstrecke im Wettkampf gelaufen - doch rückblickend bezeichnet er den 'ersten' als größten Erfolg. Obwohl er sich seitdem stark verbessert hat: Beim jüngsten Wettkampf in Stockholm benötigte er zwei Stunden und 43 Minuten für die 42,195 Kilometer. 'Alles, was unter drei Stunden ist, liegt im professionellen Bereich', sagt er. Da gehöre es auch dazu, die Ernährung umzustellen fürs Laufen. Nun bereitet er sich schon für den nächsten vor: Mitte September will er in Krems in Niederösterreich laufen. Stürzbecher sucht bewusst flache Strecken heraus, denn es geht ihm darum, seine Zeit zu verbessern. Auf so kupiertem Gelände wie beim Füssener Marathon sei das kaum möglich - trotzdem will er irgendwann auch hier einmal mitlaufen.
160 Kilometer pro Woche 'Eine saubere Vorbereitung geht über drei Monate. Pro Woche laufe ich dann 160 Kilometer.' Erzählt er. Wird das nicht langweilig? 'Nein, der Reiz ist da: Die Zeiten lassen sich immer noch verbessern.' Doch er sagt auch: 'Es gibt Trainingstage, wo man sich überwinden muss.' Der Marathonplan sei unheimlich wichtig, meint Stürzbecher. So läuft er systematisch: Grundlagenausdauer, Intervalltraining, Gewöhnung an das Marathontempo beispielsweise. Um den individuellen Trainingsplan zu erstellen, unterzieht er sich ein bis zweimal im Jahr einer 'hochspezifischen Untersuchung'. Warum dieser Aufwand? 'Neben der Medizin ist das Laufen meine zweite Herausforderung', meint der praktizierende Arzt. Und: 'Das passt gut zusammen. Eines profitiert vom anderen.'
Mehr Selbstwertgefühl 1990 begann der Mediziner das zweijährige berufsbegleitende Studium zum Lauftherapeuten. Als Diplomarbeit hat er den Laufsport als Instrument zum Aggressionsabbau bei Strafgefangenen in Innsbruck untersucht. Das Laufen hat er dann bei den Patienten in seiner Füssener Praxis beispielsweise mit Herz-Kreislauferkrankungen zur Blutdrucksenkung 'in die Therapie eingebaut'. Bei Arthrose könne mit moderater Lauftherapie eine 'deutlich erhöhte Beweglichkeit' erzielt und Schmerzen verringert werden. Zudem habe das Laufen starke Wirkungen auf die Psyche: Die Patienten seien ausgeglichener, das Selbstwertgefühl werde verbessert oder wiedererlangt. 'Gerade bei fettleibigen Menschen ist das ein ganz hervorragendes Instrument, Gewicht zu verlieren', schildert der Arzt. Das jedoch brauche seine Zeit.