Heinrich Schneider fordert, die Bundeswehr-Soldaten besser auf Extremsituationen vorzubereiten. Die grundsätzliche Kritik an den Führungskräften, die im Zusammenhang mit den Vorgängen auf der "Gorch Fock" geäußert wird, hält der frühere Kommodore des Memmingerberger Fliegerhorsts aber für überzogen. Schneider äußerte sich jetzt als Gast der MZ-Redaktion zur Situation bei der Bundeswehr. Im November war eine Kadettin vom Mast der "Gorch Fock" in den Tod gestürzt. Seither gibt es immer neue Vorwürfe gegen die Vorgesetzten und die Stammmannschaft. Die Betroffenen kontern, dass es sich hier um Rufmord handle (wir berichteten).
Werden die derzeitigen Diskussionen das Image der Bundeswehr nachhaltig beschädigen?
Schneider: Meiner Meinung nach ist jetzt entscheidend, die Vorkommnisse transparent aufzuarbeiten und sachlich darzustellen. Dann wird auch kein langfristiger Schaden entstehen. Zumal unsere Zeit ja immer schnelllebiger wird.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Krisenmanagement in Sachen "Gorch Fock"?
Schneider: Ich wünsche mir, nicht voreilig den Stab über Menschen zu brechen. Sie sollten vorher angehört werden.
Das ist ganz offensichtlich eine Kritik daran, dass Bundesverteidigungsminister Dr.Karl-Theodor zu Guttenberg den Kapitän des Segelschulschiffes vorläufig vom Kommando entbunden hat.
Schneider: Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich mich dazu nicht weiter äußern möchte.
Für den Wehrbeauftragten des Bundestags, Hellmut Königshaus, sind die Vorgänge auf der "Gorch Fock" Ausdruck einer "erheblichen Führungsschwäche", die nach seiner Ansicht in der ganzen Bundeswehr anzutreffen sei. Stimmen Sie ihm zu?
Schneider: Verallgemeinern kann man das sicher nicht. Aber richtig ist: Unser System hat Schwächen.
Was heißt das konkret?
Schneider: Wir sind auf dem Weg von einer Friedensarmee zu einer Armee im Einsatz. Das begann ja schon in den 1990er Jahren auf dem Balkan. Dies bedeutet, dass die Soldaten jetzt stärker gefordert sind. In Extremsituationen werden vorhandene Schwächen schneller sichtbar. Und wenn ein Fehler passiert, sind die Konsequenzen krasser.
Welche Schlussfolgerungen muss man daraus ziehen?
Schneider: Es gilt, die Soldaten in ihrer Ausbildung besser auf Extremsituationen vorzubereiten. Wobei man auch sagen muss, dass hier gesellschaftliche Veränderungen eine Erschwernis darstellen. In Deutschland muss heutzutage alles plan- und vorhersehbar sein. Kommt ein Soldat aber in einen Krisenherd wie Afghanistan, muss er sich gewaltig umstellen. Da weiß er nicht, was im nächsten Moment passiert.
Lassen Sie uns noch über die Wehrreform sprechen. Teilen Sie Bedenken, wonach es die Bundeswehr schwer haben wird, genug Soldaten für eine Freiwilligen-Armee zu finden?
Schneider: Ja, auch ich habe da meine Zweifel. Die Wirtschaft zieht an, dadurch entsteht eine stärkere Konkurrenzsituation. Ich will mal ein Beispiel nennen: Als Panzerfahrer wurden bisher unter anderem Wehrpflichtige eingesetzt. Mit ihrer Qualifikation können sie in der Wirtschaft als Baggerfahrer arbeiten und mehr verdienen, da in den Unternehmen die Überstunden besser vergütet werden als beim Militär. Ein weiteres Problem ist, dass die Ausbildung hochqualifizierter Bundeswehr-Leute draußen nicht anerkannt wird. So braucht ein Pilot Zusatzlizenzen, um ein ziviles Flugzeug steuern zu dürfen. Auch hier muss sich etwas ändern.
Wo sehen Sie die Bundeswehr in 20 Jahren?
Schneider: Sie wird dann eine professionelle und hochtechnisierte Armee sein, die sich - je nach den politischen Vorgaben - auf der ganzen Welt bewegt. Ich würde heute als junger Mann wieder zur Bundeswehr gehen. Die Aufgabenstellungen sind interessanter geworden, da es jetzt mehr auf internationale Zusammenarbeit ankommt. Im Kalten Krieg ging ja ein Eiserner Vorhang durch Europa. Da gab es weniger Handlungsspielräume.