Kempten | evb | "Als ich ins Kinderheim kam, dachte ich, hier gibts bestimmt nur Suppe zu essen", sagt Leander (17). Seit sieben Jahren lebt er im Gerhardinger Haus in Kempten. "Ich hatte Glück. Hier herrscht eine lockere Atmosphäre."
Vor über 170 Jahren wurde die Katholische Waisenhausstiftung als Träger des Gerhardinger Hauses, gegründet. Aufgenommen wurden damals Kinder, die meist ihre Eltern verloren hatten. Heute kommen nur noch selten Waisenkinder. "Wir kümmern uns um Kinder, in deren Familien Erziehung zurzeit nicht möglich ist", sagt Heimleiter Michael Wilde. Manche seien zu Hause geschlagen worden oder die Eltern hätten psychische Probleme, seien drogen- oder alkoholabhängig oder mit der Erziehung schlicht überfordert. "Während hier früher Waisenkinder ihre ganze Kindheit und Jugend verbrachten, ist heute bei jüngeren Kindern die Rückführung in die Familie das Ziel", sagt Wilde. Ältere Jugendliche bereite man auf ein selbstständiges Leben vor.
"Früher wurden die Kinder hier lediglich verwahrt", so Wilde. Heute sollen sie im Heim lernen, Grenzen einzuhalten und ihre eigenen Fähigkeiten entdecken, um das Selbstwertgefühl zu steigern. Neben psychologischer Betreuung gibt es viele therapeutische Angebote im musischen, kreativen und erlebnispädagogischen Bereich. Leander etwa hat besonders Spaß am Bogenschießen, es gibt eine Haus-Band und im Werkraum kann gebastelt werden. Zudem versuchen die pädagogischen Mitarbeiter auch, die Eltern wieder zur Erziehung zu befähigen.
Was andere Jugendliche sich kaum vorstellen können, ist für Leander Alltag geworden. "Viele verbinden mit Kinderheimen noch riesige Schlafsäle und sind erstaunt, wenn ich erzähle, dass ich ein eigenes Zimmer habe", sagt er.
Er lebt mit acht anderen Kindern in einer 240 Quadratmeter großen Wohnung.

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Lecker Chili statt dünner Suppe
Die Mahlzeiten kommen aus der hauseigenen Großküche: 240 Essen werden dort täglich zubereitet, denn zum Gerhardinger Haus gehören auch ein Kinder- und ein Jugendhort sowie eine Kindertagesstätte. Weil die Küche in den Ferien geschlossen ist, geht Leander in die Gruppe nebenan zum Essen. Dort duftet es an diesem Tag lecker nach Chili. "Das haben sich die Kinder gewünscht", sagt Hauswirtschafterin Anne.
In den Ferien sind nur wenige Bewohner da. Einige machen mit der Einrichtung Urlaub, andere sind bei ihren Eltern. "Um auszuprobieren, ob das Familienleben wieder besser funktioniert", erläutert Wilde. Leander wird vorerst nicht nach Hause zurückkehren. Er will die Fachschule für Sozialpädagogik besuchen und Erzieher werden. "Ich bin hier im Haus langsam ins eigene Leben begleitet worden", sagt er.