Artikel: Frauen-Sehnsüchte

11. Dezember 2002 20:30 Uhr von Allgäuer Zeitung

Wittenbrinks Musik-Revue: Vom Innenleben einer Sekretärin

Von unserem Redaktionsmitglied Freddy Schissler, Kempten - Franz Wittenbrink wurde unlängst in einem Interview mit den Worten zitiert: 'Ich glaube daran, dass man viele Leute erreichen kann, indem man Unterhaltung intelligent macht.' Der Mann scheint nicht nur ein guter Bühnenautor zu sein, sondern auch ein Hellseher. Mit seiner Schlager-Revue 'Sekretärinnen' gelang ihm 1995 einer jener Würfe, die sie im Bereich der Literatur Bestseller nennen. In diesem Fall zwar leichte Muse, aber intelligent inszeniert - ein Publikumsrenner. Ins Kemptener Stadttheater strömten über 600 Besucher, und als sie nach zwei Stunden die Sitze wieder nach oben klappten, war bei den meisten der Wunsch nach einem vergnüglichen Abend auf ansprechendem Niveau erfüllt. Der Lohn für das Theater im Rathaus Essen, Euro-Studio Landgraf und Grenzlandtheater Aachen (Ring 2 der Theatergemeinde): ein prasselnder Schlussapplaus. Wittenbrinks Werk, vor sieben Jahren am Deutschen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt, fällt aus dem Rahmen. Es gibt keine eigentliche Handlung, keine echten Dialoge, keinen dramaturgischen Aufbau. Nicht das gesprochene Wort gilt, sondern das gesungene. Weshalb die acht Sekretärinnen und der Laufbursche auf der Bühne nicht nur schauspielerische, sondern vor allem musikalische Akzente setzen müssen - bei Gassenhauern wie 'Er hat ein knallrotes Gummiboot' oder 'Ein Schiff wird kommen', beim bluesgetränkten 'Sittin' in the Morning Sun', bei rockigen Nummern wie 'Respect' und 'We will Rock You' oder bei den Soft-Songs 'Kleine Hände' und 'Eine kleine Sehnsucht'. Wittenbrink greift im Grunde bis in den hintersten Winkel der Klischeekiste. Die Sekretärin mit konservativer Rollenverteilung: Am Morgen erst mal Kaffee kochen und mit der Kollegin den aktuellen Tratsch austauschen, nach dem Diktat beim Chef Rock und Bluse wieder in die richtige Position rücken, mit dem neuen Liebhaber telefonieren und zwar so, dass die eifersüchtelnden Kolleginnen gefälligst jedes Wort mitbekommen; andererseits aber den anrufenden Lover abwürgen, weil man gerade Mittagspause macht. Die Sekretärinnen tauschen Wünsche und Enttäuschungen aus, lackieren Fingernägel und bepudern sich Nase und Wangen, und immer wieder mündet das Gespräch in ihrer größten Sehnsucht: dem Mann. Eine plumpe Geschichte fürwahr. Und dennoch gelingt es Wittenbrink, dieser Revue Witz und mitunter Tiefsinn zu verpassen. Die Musik benutzt er als großes Stilmittel. Die Musik entlarvt das wahre Ich der Frauen.

Gesangliche Unterschiede Manfred Langner inszenierte die Revue auf der Kemptener Bühne flott und stringent, und auch gesanglich wussten die Sekretärinnen zu gefallen. Gleichwohl gab es Unterschiede. Überragend als Soul-Sängerin: Sara Hesse. Und auch Katharina Debus und Sissy Staudinger wussten im Pop- und Musical-Fach in den Bann zu ziehen. Hingegen verlief die Suche nach einer überragenden Opernstimme weitgehend im Sande. Der einzige Schwachpunkt an diesem Abend. Schade deshalb, weil dieses Stück auch von einer musikalischen Vielfalt lebt. Und man erinnerte sich sehnsüchtig an eine Stimme wie jene von Gertrud Hiemer oder Lisa Hartenstein in der Aufführung von vergangenem Jahr im Altusrieder Theaterkästle