27. April 1945: Angespannte Atmosphäre durch den Rückzug hunderter Soldaten Westallgäu (sza). In den Krieg kam jetzt Bewegung: Soldaten, Flüchtlinge, Kriegsgefangene und Parteibonzen strömten auf der Flucht vor den Franzosen durch das Westallgäu. Immer wieder gab es Versuche, Verteidigungslinien aufzubauen. Wer die weiße Fahne hisste, schwebte in Lebensgefahr.
Flüchtlinge, versprengte Soldaten aller Truppenteile und Parteifunktionäre zogen auf der Flucht vor den Franzosen durchs Westallgäu nach Vorarlberg, zur legendären 'Alpenfestung' Hitlers irgendwo in Österreich und in die neutrale Schweiz. An der Schweizer Grenze bei St. Magarethen staute sich die Flüchtlingskolonne auf eine Länge von 16 Kilometern. Unter den Einheiten auf dem Rückzug waren sogar Inder, die der SS-Division 'Freies Indien' angehören. Außerdem marschierten auch Weißrussen durch, die auf Seiten der Wehrmacht gekämpft hatten. In seinen letzten Tagen trat doch tatsächlich so etwas wie nationalsozialistisches Multikulti zutage. Darunter waren auch viele Prominente des Regimes. Schon am 21. April machte Marschall Pètain, der Präsident des von Hitler geduldeten 'freien' Vichy-Frankreichs, in Wangen Station und fuhr am nächsten Tag weiter in die Schweiz. Der württembergische Gauleiter Wilhelm Murr, der die Stuttgarter Bevölkerung aufgerufen hatte, die Stadt bis zum Äußersten zu verteidigen, setzte sich selber über Wangen ins Kleinwalsertal ab. Dort wurde er Mitte Mai verhaftet und nahm sich das Leben. Während die Erwachsenen dieses hektische Durcheinander mit großer Sorge beobachteten, gingen die Kinder unbefangener damit um. Sie tauschten bei den durchziehenden Soldaten ihre Streichhölzer gegen Schokakola ein, mit Koffein versetzte Schokolade in Dosen. Immer wieder versuchten einzelne SS-Einheiten, im Westallgäu eine Verteidigungslinie zu errichten. Lindenbergs Bürgermeister Walter Kaiser riskierte sein Leben, als er sich offen dagegen wandte. Er argumentierte, dass sich allein in der Bergstadt über 2000 Verwundete befinden. Als klar wurde, dass nicht nur von Westen die Franzosen anrückten, sondern US-Truppen bereits im Osten liegen, zog sich SS-General Wagner mit seinen Einheiten zurück. Die gesamte württembergische Gestapo sammelte sich in den letzten Apriltagen bei Eglofs und durchstreifte die Gegend nach Deserteuren und Saboteuren. Wer eine weiße Fahne hisste, war in Lebensgefahr. Andererseits war der Verteidigungswille in der Bevölkerung nicht sonderlich stark ausgeprägt. Selbst Nazi-Anhänger hatten begriffen, dass der Krieg verloren ist. Das verhinderte aber nicht Hinrichtungen wie die es Hergatzer Bürgermeisters. Mehr dazu morgen.