Kaufbeuren | rm | Seit gestern gibt es in Kaufbeuren ein zentrales Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. 70 Jahre nach der Reichspogromnacht wurde es am Vormittag vor dem Jugendzentrum und in unmittelbarer Nachbarschaft zum "Nackten Mann", der an den Krieg 1870/71 erinnert, eingeweiht. Die Initiative dazu ging von Jugendlichen der Gruppe "Salzstreuer" aus. Ihren Einsatz hoben alle Festredner hervor.
So rechnete es ihnen etwa Oberbürgermeister Stefan Bosse hoch an, dass sie entgegen dem Verlangen vieler, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen, die Initiative ergriffen. Bosse rief dazu auf, alles dafür zu tun, damit die Geschichte des Nationalsozialismus niemals in Vergessenheit gerät und sich vor allem nie mehr wiederholt. Er erinnerte an die Einweihung des "Nackten Mannes" im Jahr 1911 und an die Zeit danach bis zur NS-Diktatur. Bosse verdeutlichte, dass es während dieser auch in Kaufbeuren Verbrechen gegeben hat - im Bezirkskrankenhaus, im heutigen Neugablonz, im Gefängnisturm.
Hoffnungsvoll stimmte es Rabbiner Dr. Henry Brandt, dass Gedanken und Reflexionen über die Vergangenheit in der Jugend wach sind. Denn die "Schlussstrich-Mentalität" sei weit verbreitet. Besonders gefalle ihm an diesem Denkmal, dass auf alle Opfer des Nationalsozialismus hingewiesen wird.
Sandra Isenburg, Stephan Stegmayer und Philipp Meier von den "Salzstreuern" erklärten nochmals, wie die Idee zu dem Denkmal entstand und wie es schließlich im vergangenen halben Jahr mit Hilfe des Künstlers Peter R. Müller, mit ihrer Leiterin Beatrice Altman-Schevitz, Alfred Riermeier vom Projekt "Vielfalt tut gut", Oberbürgermeister Stefan Bosse und vielen weitern Helfern verwirklicht wurde. Isenburg sagte zur Standortwahl, dass das Denkmal vor dem Jugendzentrum stehe, weil sich dort viele junge Menschen aufhalten und der Platz zudem zentral liege.
Stegmayer führte den zahlreichen Gästen, darunter der Landtagsabgeordnete Paul Wengert aus Füssen, vor Augen, wie viele Verbrechen die Nationalsozialisten in Kaufbeuren begingen: das Bezirkskrankenhaus wurde zum Zentrum der Kindereuthanasie, Zwangsarbeit im großen Stil gab es in der Dynamit AG und in der Weberei Momm, knapp 500 Menschen starben in Steinholz. Dennoch, so Stegmayer, müsse sich heute niemand der Anwesenden schuldig fühlen. Aber jeder könne dafür sorgen, dass politisch Extreme keine Chance mehr bekommen.

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Meier ergänzte, das Denkmal solle für alle Menschen stehen, die unter Gefahr ihres Lebens für Würde, Freiheit und Demokratie eingetreten sind - etwa in der DDR.
"Geschichte vollzieht sich", sagte der ehemalige ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses, Dr. Michael von Cranach, und erläuterte, dass der "glorreiche Sieg" der Deutschen über die Franzosen 1870/71 die Verlierer zu Reparationszahlungen zwang, mit denen wiederum das BKH finanziert worden sei. Anhand des Schicksals der ehemaligen Patientin Berta Weil, geboren 1878 in einer Memminger Unternehmerfamilie, machte von Cranach deutlich, wie Menschen aus der Mitte der Gesellschaft NS-Opfer wurden. Weil wurde 1939 in einer Brandenburger Vernichtungsklinik vergast.