Von Heike Stix, Betzigau - Zappelig, unkonzentriert oder aggressiv - so reagieren etliche Kinder auf die wachsende Reizüberflutung und einen straff organisierten Alltag. Tritt ein derartiges Benehmen über das normale Maß hinaus auf, sprechen Pädagogen von Verhaltensauffälligkeiten. Und unter diesen würden die Kinder spätestens in der Schule leiden, wenn der Leistungsdruck steigt. Um derartige Schwächen rechtzeitig zu erkennen und etwas gegen sie zu unternehmen, wird jetzt im Betzigauer Kindergarten St. Afra extra eine Erzieherin eingesetzt. Das im Oberallgäu einmalige Projekt wird von der Gemeinde unterstützt. Sie hat die Pädagogin Nicole Kolanovic als ABM-Kraft für ein Jahr angestellt. Laut Kindergartenleiterin Franziska Pätzold nehmen Verhaltensauffälligkeiten unabhängig von der sozialen Herkunft immer mehr zu. Als Ursachen nennt sie neben der Reizüberflutung zu hohe Anforderungen seitens der Eltern oder eine zu inkonsequente Erziehung. 'Zudem bleibt den Kindern vor lauter Terminen wie Turnen, Musikunterricht, Einkaufen gehen, fast keine Zeit mehr zum Spielen und Träumen', weiß die Pädagogin. Mit dem Projekt 'Präventives pädagogisches Arbeiten mit verhaltensauffälligen Kindergartenkindern' sollen etwaige Probleme frühzeitig erkannt werden. Ziel ist es, die Schwächen bereits vor Beginn der Schulzeit mit geeigneten pädagogischen Methoden zu mildern oder gar zu bewältigen. Zwanzig Stunden in der Woche widmet sich die 33-jährige Nicole Kolanovic im Moment vor allem den Vorschulkindern. Aus verschiedenen Kindergartengruppen greift sie sich täglich etwa acht bis zehn Buben und Mädchen heraus, um sich mit ihnen in einem separaten Raum zu beschäftigen. 'Es tut den Kindern gut, einmal aus der großen Gruppe rauszukommen in einen Raum der Ruhe', sagt die Erzieherin. In der Kleingruppe seien die Kinder ruhiger, fühlten sich besser angesprochen und verstanden. Sie sind unter Gleichaltrigen und sollen lernen, soziale Konflikte selbst zu lösen.
Spielerische Übungen Mit spielerischen Übungen, wie Basteln, Turnen, Sprach- und Rollenspielen, soll das 'Dranbleiben' an einer Sache gefördert werden. Das Projekt zeigt, dass schon allein für die Vorschulkinder eine zusätzliche Kraft erforderlich ist. Nur so schaffe man den Spagat zwischen den Anforderungen der Schule und den großen Gruppen im Kindergarten. Das bestätigten auch der Landtagsabgeordnete Adi Sprinkart sowie der Betzigauer Bürgermeister Roland Helfrich, die sich vor Ort über die Arbeit von Nicole Kolanovic informierten. Beide waren sich einig, dass falsche Sparmaßnahmen und Personalkürzungen im Kindergarten die Erziehung beeinträchtigen und langfristig höhere Kosten verursachen. Die Devise müsse lauten, 'Fehlentwicklungen vorzubeugen statt zu reparieren.' Das Projekt beweise auch, wie gut die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen laufen kann: Die Gemeinde finanziert die ABM-Kraft, die Kirche übernimmt die Kosten für die Fortbildungsmaßnahmen. Zwischen Grundschule und Kindergarten findet ein reger Austausch darüber statt, wie man die Kinder besser vorbereiten kann. Die Kinder, die Nicole Kolanovic 'entführt' hat, haben ihren Ausflug auf die 'Ruheinsel' sichtlich genossen. Das Ergebnis: eine bunte Tischlaterne aus einem Gurkenglas und aufgeklebtem Transparentpapier. 'Mit den Händen zu kneten und zu kleistern, hat nachgewiesenermaßen einen weiteren positiven Effekt: Das wirkt auf das Sprachzentrum im Gehirn und fördert so die Sprechfähigkeit', erklärt die Erzieherin.