Kaufbeuren (ofr). - Bei den meisten Besuchern löst das Virus Lagerleben nur Glücksgefühle aus, doch einige kommen nicht so leicht davon: Mit blutender Nase wartet der junge Muskelprotz vor dem Sanitätszelt. 'I hab' gar nix g'macht, bin bloß so da g'standen', beteuert er mit schwerer Zunge. Die Bierfahne ist gewaltig, das T-Shirt zerrissen. Minuten später sitzt er im Rettungswagen - vom Lagerleben geht's für ihn nun direkt ins Krankenhaus. Wenn sich die Kaufbeurer Altstadt einmal im Jahr zur mittelalterlichen Vergnügungsmeile wandelt, dann rückt ein ganzes Team von Sanitätern aus, mit extra Notarzt, fünf Fußstreifen, zwei Sankas und einem Versorgungszelt mitten auf der Kaiser-Max-Straße. Die Beschwerden der Party-Patienten sind höchst unterschiedlich: häufig sind Blasen an den Fußsohlen (vom vielen Herumlaufen), Kreislaufprobleme (vom Gedränge und Geschiebe der Massen) und Schürfwunden (vom Runterfallen von der Bierbank). Einige holen sich auch blutige Finger beim Versuch, die Scherben eines zerdepperten Bierkrugs aufzusammeln. Jeder dritte Einsatz der Rettungssanitäter gilt aber Leuten, die aus dem Tänzel- ihr privates Torkelfest machen.
Die Folge: heftige Schwindelgefühle, gefolgt von einem unwiderstehlichen Brechreiz und dem völligen Kontrollverlust über Arme, Beine und Zunge. Diese Patienten sind überwiegend jung und männlich und tauchen später im Einsatzbericht unter der Rubrik 'Versorgungen, alkoholbedingt' wieder auf. 16 Stück waren es allein am Freitag. Einige der Schwerst-Infizierten fühlen sich beim Lagerleben so unwohl, dass sie in der Hoffnung auf Besserung dem Nachbarn am Biertisch einen kräftigen Faustschlag verpassen. Diese Patienten werden dann doppelt versorgt - vom Roten Kreuz und von der Polizei. Seit der Tänzelfestverein ein privates Sicherheits-Team einsetzt, sind die Schlägereien zwar zurückgegangen, aus dem Sani-Alltag verschwunden sind sie aber nicht. Das Schwierigste für die Lebensretter ist nicht das Versorgen der Verletzten, sondern der Weg zu ihnen: Mit dem Rettungswagen gibt's kein Durchkommen, das wurde in den Anfangsjahren des Lagerlebens mal versucht - und gleich wieder aufgegeben. Um Verletzte und Alkoholleichen aus dem Menschengewühl der Altstadt zu bergen, kommen deshalb skurrile Transportvehikel zum Einsatz, die ursprünglich für das Schlachtfeld entwickelt wurden: Rad-Tragen aus Bundeswehrbeständen, grau lackiert mit großen Speichenrädern. In diesem Jahr leitet Gunther Herold zusammen mit Jürgen Kustermann den Großeinsatz für das Rote Kreuz, ehrenamtlich versteht sich, wie alle im BRK-Team: Im Zelt neben dem Brunnen in der Kaiser-Max-Straße koordinieren sie die Einsätze, unterstützt von Peter Blattner, einem erfahrenen Rettungssanitäter, den nichts aus der Ruhe bringen kann: 46-mal mussten die Rotkreuzler allein am Freitag ran. 'Ein ganz normales Lagerleben, nichts Besonderes', sagt er.