Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

Er entspannt sich beim freien Fall

Allgäu

Er entspannt sich beim freien Fall

    • |
    • |

    Von Thilo Jörgl Marktoberdorf Wenn Rainer Pircher aus seiner Wohnung tritt, sieht er von weitem den Schlot mit der Aufschrift 'Fendt'. Dort hat er früher jeden Werktag eine Plastik-Karte durch eine Stempeluhr gezogen. Früher - das war vor Juni 2003. 16 Jahre lang hat der gelernte Maschinenschlosser im Traktorenwerk gearbeitet, ehe er sich zu dem Schritt entschlossen hat, den einige seiner Arbeitskollegen als 'sehr mutig' bezeichnet haben: Er reichte die Kündigung ein, um künftig als hauptberuflicher Bergführer seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Leicht sei ihm der Schritt nicht gefallen, erzählt der 36-jährige Marktoberdorfer und macht es sich auf dem breiten Wohnzimmersessel bequem. Schließlich habe er ein geregeltes Einkommen gehabt. 'Aber ich musste meiner Sucht nachgeben', gesteht er. Pircher ist süchtig - bergsüchtig. Seine Freizeit hat der Ostallgäuer schon seit seiner Jugend in den Bergen verbracht. Ob mit Ski oder mit Steigeisen, Pircher wollte immer hoch hinauf. Um auf den höchsten Erhebungen in Indien, Bolivien oder Nepal stehen zu können, hat er viel investiert. Zeit, Geld, Urlaub - auch unbezahlten. Als Mitglied des Deutschen Alpenvereins habe es ihm stets 'großen Spaß' bereitet, Bergsteiger in den Alpen zu führen. Vor drei Jahren entschloss sich Pircher dann, sein (Arbeits-)Leben nicht mehr an der Schlosserbank, sondern auf dem Dach der Welt zu verbringen. Mit einem Freund meldete er sich für die Lehrgänge zum staatlich geprüften Bergführer an. Nach einer Aufnahmeprüfung in den Bereichen Eis, Fels und Skifahren macht er seit drei Jahren Lehrgänge. Im April muss er seine letzte Prüfung absolvieren. Dann ist er Bergführer. Rund 400 Deutsche haben diese Prüfung bisher gemacht, aber nur einige Dutzend arbeiten hauptberuflich in dem Beruf, der für Pircher eine Berufung ist. Der Kreis der hauptberuflichen Bergfexe ist auch im Allgäu klein. Man kennt sich, arbeit gemeinsam für Bergschulen. Schon während seiner Anwärterzeit als Führer hat Pircher einen Teil der Ausbildungskosten von etwa 13000 Euro als Bergführer verdient. Nicht bei Wandertouren für Otto-Normal-bergsteiger, sondern bei Expeditionen. Auf den 6000ern in Indien oder Nepal hat Pircher sein Brot verdient.

    Unerschwingliche Versicherung Ein halbes Dutzend Bergschulen bucht den Marktoberdorfer regelmäßig, darunter auch eine Bergschule aus Kaufbeuren. Etwa das halbe Jahr wird Pircher 2004 im warmen Daunenschlafsack nächtigen. Unter anderem in der eisigen Antarktis. Doch der gelebte Traum vom professionellen Kraxler hat auch seine Nachteile. 'Für meine Freundin ist es schon hart, dass ich wochenlang weg bin.' Außerdem steht sein Einkommen nicht mehr so fest, wie einst als Schlosser. Je mehr Touren er führt, desto mehr verdient er. Falls er aber krank oder verletzt ist, fließt kein Geld in die Tasche. 'Eine Versicherung gegen Krankheit oder Verletzung ist für Bergführer fast unerschwinglich.' Spricht man mit dem Oberdorfer über die Gefahren in seinem Beruf, wird der temperamentvolle Allgäuer nachdenklich. Dann schaut er vom Sessel hinüber an die Wand. Dort hängen Fotos, die ihn zusammen mit Freunden grinsend auf den höchsten Gipfeln der Welt zeigen. 'Einen guten Freund hab ich vor fünf Jahren am Berg verloren', sagt er mitleiser Stimme. Abgestürzt. Angst habe er normalerweise in den Bergen nicht. 'Aber ichweiß auch, wann es Zeit ist umzudrehen', sagt der Mann, der bis Schwierigkeitsgrad Minus 9 mit Seil und bis 6 ohne Seil klettert.

    Der Tod ist sein Begleiter Dennoch ist sich Pircher, der sich als gläubiger Mensch bezeichnet, bewusst: 'Ein Restrisiko bleibt in den Bergen natürlich immer'. Als Bergführer sei der Tod ein ständiger Begleiter. Doch zu sehr reizt Pircher das Gefühl, in der Felswand zu hängen, als dass ihn die Gefahren abschrecken. Über die Höhe von Risiken will er nicht diskutieren. 'Wenn ich auf der Autobahn nach München fahre, gehe ich auch eine nicht geringe Gefahr ein'. Über den Jahreswechsel organisiert Pircher derzeit Touren für 2004 und spannt aus. Wobei das Wort Entspannung bei ihm - zumindest im Sommer - bedeutet, dass er Fallschirmspringen geht. Fünfmal freier Falls aus 4000 Metern. 'Das macht Spaß, dann bin ich entspannt.' Bevor es Pircher im Februar wieder in die Höhe zieht, hat er angekündigt, den Oberdorfern einen Diavortrag über Bolivien zu zeigen. Vielleicht kommen dann auch einige seiner ehemaligen Arbeitskollegen. Die gerne sehen, was der macht, der den 'Fendt'-Schlot nur noch aus der Ferne betrachtet.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden