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Energiegeladener Höhenflug

Buchloe / Wiedergeltingen

Energiegeladener Höhenflug

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    Energiegeladener Höhenflug
    Energiegeladener Höhenflug Foto: franziska kampfrath

    Die Fotografin verlangt schon vor dem Abflug eine Tüte. Einen überempfindlichen Magen hat Christina Bleier nicht. Sie braucht die durchsichtige Plastiktüte, um sich beim Fotografieren im Helikopter orientieren zu können. "Das Gleichgewichtsorgan funktioniert nur, wenn man einen festen Orientierungspunkt hat", sagt die dunkelblonde 36-Jährige. Bleier arbeitet als freie Bildredakteurin. Im Auftrag der Lechwerke (LEW) soll sie heute Fotos aus der Luft knipsen.

    Es ist wieder die Zeit der jährlichen Netzkontrollen des Stromversorgers (siehe Info-Kasten). An diesem Vormittag werden die Mittelspannungsleitungen in und um Buchloe überprüft. Der Hubschrauber, Modell Bell 206 "Jet Ranger", steht startbereit auf einem Feld bei Wiedergeltingen. Wenige Meter entfernt beäugen ein paar bräunliche Esel mit ihren Fohlen den seltsamen "Vogel" argwöhnisch.

    In dem Helikopter haben abgesehen vom Piloten höchstens vier Passagiere Platz. Christina Bleier setzt sich sogleich auf die Rückbank. Doch plötzlich ist von der gesprächigen Frau kein Ton mehr zu hören. "Ich genieße die Ruhe", sagt sie mit dem Headset auf dem Kopf. Die Hörsprech-Garnitur ermögliche ihr seltene Momente der absoluten Stille. "Das müssen Sie auch einmal probieren", fordert Bleier eine Volontärin der BZ auf, die auf dem linken Vordersitz Platz genommen hat.

    Diese war zwar schon mehrmals in ihrem Leben geflogen, aber eben nicht mit einem "kleinen" Hubschrauber. Noch eine drei viertel Stunde zuvor hatte sie sich in der Redaktion mit "Auf Wiedersehen" verabschiedet: Und diesmal waren die Worte keine leere Floskel, sondern ein inniger Wunsch.

    Doch die Furcht hält sich stark in Grenzen, Neugier und vor allem die freudige Erwartung überwiegen. Außerdem sieht Bernhard Stooß, der Pilot, wirklich vertrauenswürdig und nett aus. Da kommt er auch schon, begleitet von Richard Agerer, dem Pressesprecher der LEW. Die Männer steigen ein und einen Moment später heben sie ab: mit dem Helikopter und den Frauen.

    Eine grüne Futterwiese, eine beigefarbene Kiesgrube, die A 96 - Alltägliches sieht von oben betrachtet außergewöhnlich, schön und so unberührt aus. "Welche Flughöhe haben wir denn?", fragt Agerer. "Jetzt sind es " - flapp, flapp, flapp - "Geschwindigkeit von 30 bis 35 Kilometer pro Stunde". Der eifrig arbeitende Rotor übertönt einige Worte des Piloten. Der 31-jährige Stooß meint zu Bleier und der Volontärin, dass sie zum Fotografieren gern das Fenster öffnen dürften.

    Wie bitte? In einem fliegenden Objekt das Fenster öffnen? Das klingt nach Lebensmüdigkeit. Zögerlich zieht die Volontärin das 20 Zentimeter große Schiebefenster neben sich auf. Nichts passiert. Nur weht jetzt eine angenehme Brise durch die Flugkabine.

    In rund 15 Metern Höhe schwirrt der Hubschrauber knapp über und neben den Mittelspannungsleitungen. Darin verfangen habe er sich noch nie bei den Netzkontrollen, hatte Agerer zuvor beteuert. Die Spannung steigt: Stooß steuert auf einen Hochspannungsmasten zu und drosselt dann die Geschwindigkeit. Der Helikopter scheint nun in der Luft stehen zu bleiben - ähnlich einem Kolibri, der eine Blüte bestäubt.

    Apropos Vogel: Zwei größere Nester beherbergt dieser Strommasten, dessen Statur einem riesigen kahlen Nadelbaum ähnelt. Das ist wirklich mutig von dem Federvieh, durch die Leitungen fließt eine Spannung von etwa 380000 Volt. Doch die beiden Vogelfamilien sind momentan ausgeflogen. Kein Wunder bei diesem Krach.

    Überhaupt zeigt sich die Tierwelt wenig begeistert von dem Flugobjekt. "Jetzt machen wir die Esel wieder scheu", sagt Agerer, als der Pilot zur Landung ansetzt. Tatsächlich rennen die Grautiere aufgeregt in ihrem Gatter umher. Der vom Helikopter erzeugte Wind drückt die Grashalme zu Boden.

    Plötzlich riecht es nach Sprit in der Kabine: Kerosin. "11.56 Uhr" trägt Bernhard Stooß als Zeitpunkt der Landung in sein Flugbuch ein. Mittagszeit. Kaum hörbar knurrt der Magen der Volontärin. Eine Tüte hat sie während des Rundflugs jedenfalls nicht gebraucht.

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