Reise in die Vergangenheit Der ehemalige Patient John Martin besucht das frühere Krankenhaus Waal - Mit 16 Jahren Flecktyphus">

Artikel: "Eintritt streng verboten!"

11. Oktober 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung

Reise in die Vergangenheit Der ehemalige Patient John Martin besucht das frühere Krankenhaus Waal - Mit 16 Jahren Flecktyphus

Von Claudia Goetting |Waal/GroßkitzighofenAls Johann Stern wurde ein damals 16-jähriger Jude ungarischer Abstammung am 18. Mai 1945 mit Flecktyphus ins Krankenhaus nach Waal gebracht. Als John Martin, mittlerweile 79 Jahre alt, kehrte der zum Katholizismus konvertierte Wahlkanadier am Donnerstag genau dorthin zurück - und begab sich im wahrsten Sinne des Wortes auf eine Reise in die Vergangenheit.

Eine Vergangenheit, die John Martin auch in seinem Buch "Sein Schicksal auf sich nehmen" festgehalten hat. Die Kapitel des Buchs, in denen es um Landsberg, Waal und Großkitzighofen geht, haben Schüler der Leistungskurse Englisch und Geschichte des Ignaz-Kögler-Gymnasiums in Landsberg übersetzt.

Martins Lebensgeschichte begann in einem Dorf im transsylvanischen Ungarn. Im Sommer 1944 wurde er zusammen mit seiner Familie ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Dann ging es weiter ins "Arbeitslager Kaufering Nr. 3", in dem Martins Vater starb und in einem Massengrab in der Nähe des Lagers begraben wurde.

Nach der Befreiung des KZ durch die Amerikaner kam Johann Stern, der erst in Amerika, später in Kanada ein neues Leben anfing und auch seinen Namen änderte, zur Familie von Peter Schuster nach Großkitzighofen. "Die Schusters empfingen mich sehr herzlich", schreibt Martin in Kapitel fünf seines Buches, das es nicht zu kaufen gibt. Mehrmals besuchte er die Stadt Landsberg: "Weil ich mich hier am wohlsten fühlte."

Ins Waaler Krankenhaus war Johann Stern am 18. Mai 1945 mit der Diagnose Flecktyphus, einer oft tödlich verlaufenden Krankheit, eingeliefert worden. Er selbst kann sich daran nicht mehr erinnern. "Plötzlich schrak ich wieder hoch, hatten einen merkwürdigen Schlafanzug an und lag in einem Krankenhausbett", beschreibt er. Er sah die Fieberkurve mit seinem Namen darauf, Johann Stern, und das Datum, 19.

Mai 1945. Und er fragte sich: "Woher wussten die mein Geburtsdatum?" Zufälligerweise war er an seinem 16. Geburtstag aus der Bewusstlosigkeit aufgewacht. Vor zehn Jahren kam er zum ersten Mal wieder nach Landsberg und hat seitdem einen sehr guten Kontakt zu Ulla Kurz, Leiterin des Kultur- und Fremdenverkehrsamtes, die ihn zusammen mit ihrem Mann Gerhard und Martins Ehefrau Gabriella auch nach Waal begleitete.

Bei der Besichtigung der Räume im zweiten Stock des ehemaligen Krankenhauses am Donnerstag, die mittlerweile zu Personalzimmern umfunktioniert wurden, erinnerte er sich sogar noch genau an sein Quarantänezimmer, an dessen Tür ein Schild "Eintritt streng verboten!" hing. Bis zum 30. Mai 1945 wurde Martin vom Arzt Dr. Spiegel und Oberin Bibiana betreut. Martin berichtete, dass ihm eine Schwester bittere Medizin gegeben und er von einem Offizier Schokolade geschenkt bekommen habe.

Nach dem Krankenhausaufenthalt kam er wieder zur Familie Schuster. Viel helfen habe er damals aber nicht können, weil er durch seine Krankheit sehr geschwächt war. Von Landsberg aus wanderte Martin später nach Amerika aus, ging auf die Universität und arbeitete bis zur Rente in einem Pharmakonzern. Heimleiter Karl Gebler hatte für den ehemaligen Patienten eine Akte vom Dachboden geholt, in der Name, Länge des Aufenthalts und Diagnose in altdeutscher Schrift festgehalten sind. Bei der Durchsicht dieser Seite erinnerte sich Martin sogar an einen weiteren Ungarn, der kurz vorher in seinem Quarantänezimmer gestorben war. Der ehemalige Waaler Bürgermeister Peter Pauli, der von 1971 bis 1996 im Amt war, half am Donnerstag bei Aufarbeitung der Geschichte des Krankenhauses. Zum Jahr 1945 konnte er allerdings nichts sagen, weil er selbst bis 1949 bei Stalingrad in Kriegsgefangenschaft war.

Zum Thema Stalingrad wiederum fiel John Martin auch etwas ein, weil Peter Schuster aus Großkitzighofen dort verwundet worden war.