Geschichte Die Glocken der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren hängen inzwischen in Germaringen">

Artikel: Eine lange Odyssee

1. Dezember 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung

Geschichte Die Glocken der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren hängen inzwischen in Germaringen

Germaringen | fro | Vermutlich vor 135 Jahren entstand unter dem Zischen und der flirrenden Hitze flüssigen Eisens "Bochum 1873" in einer Glockengießerei. Das zumindest besagt die Inschrift der Glocke, deren wunderlicher Weg nach Germaringen führte. Dort hängt sie inzwischen neben ihrer kleineren Schwester "E. 1975 S." in einem hölzernen Glockenstuhl auf dem Hof von Barbara Seitz.

Wie "Bochum" in unsere Gegend kam, ist zwar unbekannt, doch drei Jahre nach dem Guss wurde sie mit der zweiten Glocke als architektonischer Abschluss in einem Turm auf der Heil- und Pflegeanstalt in Kaufbeuren aufgehängt, schreibt Erich Resch, ehemaliger Verwaltungschef des Bezirkskrankenhauses. Dort verrichteten die beiden Eisenstücke ihren Dienst, um Mittagstisch, Feuersbrunst, Kirchgang oder das Wecken anzuzeigen. Welche Erinnerung auch immer Patienten und Personal hatten, nach knapp 60 Jahren schlug den Glocken das (vorerst) letzte Stündlein. Sie wurden im Jahr 1935 wegen Baufälligkeit inklusive der darunterliegenden Uhr abgebaut und eingemottet.

Zwischenstation Kemnat

Als 1942 in Kemnat - wie in vielen anderen Gemeinden auch - die Glocken abgebaut wurden, um als Rohmaterial zur Waffenproduktion herzuhalten, kaufte die Gemeinde Kemnat für rund 100 Reichsmark die Tonkörper aus der Heil- und Pflegeanstalt, recherchierte Resch. Doch der dortige Einsatz blieb für die Glocken nur ein 16-jähriges Intermezzo. 1958 mussten sie weichen, da lokale Spender den Kauf neuer Kirchenglocken ermöglichten. In den 1960er-Jahren erwarb Narziß Dempfle nacheinander beide Glocken. Ob er sie in seine Heimatgemeinde Rieden-Zellerberg mitnahm, ist nicht bekannt. Später jedoch vermachte er sie seiner Nichte Elfriede Seitz, die auf dem Hof des bayerischen Landtagsabgeordneten Erwin Seitz in Obergermaringen lebte.

Die Familie ließ für die Glocken einen Glockenstuhl herstellen und stellte diesen in den eigenen Garten. Damit werde die Einkerbung auf dem tragenden Querbalken "E. 1975 S." sinnvoll: Es handele sich um die Initialen von Elfriede Seitz und das Aufstellungsjahr, so Resch. Die kleinere Glocke trage ansonsten die Inschrift "B.V.G." für Beata virgo Genoveva (Selige Jungfrau Genoveva). Der Familie läuteten die Glocken zu besonderen Anlässen. "Jetzt sind sie nicht mehr in Gebrauch. Höchstens die Kinder läuten noch", erzählt Barbara Seitz, die fünf Kinder hat.

Demnächst soll der im Sommer mit Blumen geschmückte Glockenstuhl erneuert werden, weil er offenbar leicht verzogen ist. Für Seitz gehören die Glocken zum Hof. "Das ist einfach ein Stück Geschichte", sagt sie.