Kempten | Von Klaus-Peter Mayr: Eine Frau ohne Hoffnung

16. Dezember 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
jÖrg schollenbruch

Theater in Kempten - Grandios spielt und singt Claudia Graue die Titelrolle in "Lola Blau"

Am Ende sitzt Lola am Garderobetisch. Sie nimmt die Perücke ab, zupft die falschen Wimpern von den Augen. "Nur das Lied bleibt. Und die Hoffnungslosigkeit", singt sie. Endlich können die Zuschauer im er Stadttheater ihr Gesicht in Großaufnahme sehen, eine Kamera überträgt es auf die Videoleinwand im Bühnenhintergrund. Sie blicken in müde, traurige Augen.

Am Anfang von "Heute Abend: Lola Blau" war das anders. Da hüpft eine blutjunge, naive Lola über die Bühne. Sie träumt von einer Schauspielkarriere und singt euphorisch "Im Theater ist was los!" Doch die Karriere ist zerstört, bevor sie richtig beginnt. Denn Lola ist Jüdin, und man schreibt das Jahr 1938. Hitler holt Österreich heim ins Reich, Lola muss Wien verlassen.

Es beginnt eine Odyssee über die Schweiz in die USA und zurück nach Österreich. Atemlos lässt Regisseur Peter Baumgardt in dieser Eigenproduktion des Theaters in Kempten (TiK) seine Lola fliehen, und das Publikum im bei weitem nicht ausverkauften Saal muss hinterherhecheln. Holzschnittartig hüpft Lola von Szene zu Szene, von Station zu Station, ist mal euphorisch, mal deprimiert, mal lustig, mal traurig.

Ihre Entwicklung, um die es dem Autor Georg Kreisler in diesem 1971 geschriebenen "Musical für eine Schauspielerin" geht, kann man nur erahnen. Baumgardt zeigt die Seele Lolas genauso wenig wie ihr Gesicht. Stattdessen setzt er auf scharfe Schnitte und harte Kontraste. Die Toneinspielungen und die Videos, die erneut Hector Solari konzipiert hat, machen die Sache nicht einfacher.

Sie sind so assoziationsbeladen, dass sie die Zuschauerfantasie bisweilen mehr verwirren, denn beflügeln. Dennoch ist dieser Theaterabend großartig. Das liegt vor allem an der Musik. Georg Kreisler, dessen eigenes Flucht-Schicksal Lola spiegelt, hat Lieder und Chansons geschrieben, in denen er gewaltigen Wortwitz mit wundervollen Melodien paart. Das gehört zum Besten, was nach dem Krieg auf Deutsch komponiert wurde. Dank Baumgardt darf man es wiederentdecken.

Kreislers Lieder genial umgesetzt

Genial umgesetzt werden Kreislers Lieder von Claudia Graue und dem Pianisten Markus Syperek. Souverän greift Syperek in die Tasten, während die 27-jährige Berlinerin Graue sich stimmgewaltig durch die Flucht der Protagonistin spielt, singt und tanzt. Zur Glanznummer gerät ihr verzweifeltes Vorsingen bei einem Theaterdirektor in Wien. Dorthin ist Lola nach dem Krieg zurückgekehrt, in der Hoffnung, endlich das Leben als erfolgreiche, aber einsame Nachtclubsängerin samt Tabletten- und Alkoholsucht hinter sich lassen und jene Schauspielkarriere starten zu können, die ihr vor dem Krieg verwehrt geblieben war.

Aber "Wien bleibt Wien" wie es so treffend heißt: Die Leute wollen "Gras über die Sache wachsen lassen", Lola wendet sich dem politischen Kabarett zu. Sie ist zur reifen, aber desillusionierten Frau geworden. Das Publikum feierte das Ensemble mit begeistertem Applaus, der größte Anteil entfiel dabei auf die großartige Claudia Graue.

Weitere Aufführungen von Lola Blau am 19. Dezember (10.30 und 20 Uhr) und am 21. Dezember (16 Uhr). Karten im AZ-Service-Center (0831/206-222).