100 Jahre 'Gasthof von P. Paul Lingg' in Wohmbrechts Wohmbrechts (az). Besonders in jüngster Zeit fragen viele Leute: 'Wo steht eigentlich der Salzstadel in Wohmbrechts?' Die Antwort lautet dann meistens: 'Gegenüber dem Palast mit der Pizzeria.' Dass diese bekannt ist, setzt jedermann voraus. Dann aber wundern sich viele, wie dieser tatsächlich palastartige 'Gasthof zum Adler' in dem Dorf entstehen konnte, denn er ist viel älter als die Pizzeria dort. Zum 100-jährigen Bestehen des Gebäudes hat der Hergatzer Arbeitskreis Geschichte eine Menge zusammengetragen.
Am 24. Januar 1904 wurde der neue 'Gasthof von P. Paul Lingg' eingeweiht. Sicher war die Baubehörde großzügig. Denn so ein aufwändiges, riesengroßes Gebäude passte auch damals nicht ins Dorf. Die ihn umgebenden Häuser waren vor 100 Jahren genau dieselben wie heute, alles schlichte, zweckbestimmte Gebäude. Auch der Vorgängerbau hatte das einer Dorfwirtschaft entsprechende Ausmaß wie eine Zeichnung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt. Was war geschehen? Der Gasthof mit den angebauten Teilen für die Landwirtschaft war im Juli 1902 abgebrannt. Der Wirt Peter Paul Lingg baute sofort ein neues Wohn- und Gasthaus und getrennt davon Stall, Scheune und Schweizerwohnung. Der Gedanke liegt nahe, dass da ein später Feudalherr ein neues Schloss hingestellt hat. Zumal nicht weit weg die Reste des Schlosses der Ritter von Wabrechs zu finden sind und im Bereich der neuen Baustelle vor Jahrhunderten die erste Burg von Wohmbrechts stand. Aber dorthin, wo sich der Schlosspark erstrecken müsste, nach Süden, ließ der Bauherr das Ökonomiegebäude stellen. Er hatte nämlich die größte Landwirtschaft in der damaligen Gemeinde Wohmbrechts. Lingg baute nicht nur den Gasthof wieder auf und brachte seine Landwirtschaft auf den neuesten Stand. Viel wichtiger war es ihm, ein Haus für die Kommune und die Vereine im Ort zu schaffen. Zumindest einen davon hatte er selbst gegründet. Viele andere förderte er großzügig. Schließlich war er nicht nur Großbauer und Wirt, sondern lange Jahre Bürgermeister und 'Landrat', das heißt Abgeordneter des Landkreises in Augsburg. Warum aber mussten diese Räume so aufwändig gestaltet werden? Die Baukosten spielten keine bedeutende Rolle, obwohl er nur eine ganz gerine Summe von einer Brandversicherung erhalten hatte. Holz, Kies und Sand hatte der Bauherr selbst auf seinem Grund. Die Löhne waren gering. Ein Bauarbeiter verdiente zwei Mark am Tag. (Zum Vergleich: ein Zentner Portlandzement kostete damals 2,15 Mark.)Der Gasthof hatte immer schon selbst eine große Bedeutung durch seine Lage an der Salzstraße und der Nähe zu Wangen. Dem Bauherrn stand schon bei früheren Aufträgen der in der Region führende Baumeister Xaver Foigele in Hergatz zur Seite. Foigele führte damals viele größere Aufträge in der Region aus, unter anderem die Kinderheilstätten in Oberschwenden/Scheidegg und Wangen/Allgäu und die Christuskirche in Lindau-Aeschach. Der Architekt war in diesem Fall der bekannte Münchner Baumeister Friedrich von Thiersch. Seine Frau war Lindauerin. Gastarbeiter aus Italien Bis zu 50 Arbeiter waren täglich auf der Baustelle. Die Erd- und Maurerarbeiten bewältigten überwiegend 'Gastarbeiter'. Im Laufe der 18 Monate Bautätigkeit tauchten Hunderte von italienischen Namen auf. Beim Bau war alles Handarbeit. Außer der Säge kamen keine Maschinen zum Einsatz. Gasthaus und Landwirtschaft florierten unter Lingg. Wegen seiner Verdienste in der Gemeinde und im Kreis wurde er zum Ehrenbürger ernannt. Er hatte keine Kinder. So verschenkte er später einen Teil seines Besitzes und Grund und Boden an seine Angestellten, die Gemeinde und die Kirche. Hof und Palast verkaufte er im November 1923 - knapp zwei Monate vor dem Ende der Inflation - an die Wirtsleute Hagspiel in Maria-Thann für 50 Billionen Reichsmark. Im Mai 1924 starb er. Josef Hagspihl (später Bürgermeister und Ehrenbürger von Wohmbrechts) und seine Frau führten die Landwirtschaft und die Gastronomie weiter. In den 40er-Jahren war ein Teil des Betriebes von Karl Maybach (Motorenbau) aus Friedrichshafen hier ausgelagert. Dann kamen Besatzungstruppen in den Palast. Nach deren Abzug gelang es, den Gasthof wieder herzurichten. Der immer teurer werdende Betrieb des riesigen Gebäudes veranlasste 1962 die Eigentümer, die Gastronomie einzustellen und die größten Räume für andere Zwecke zu vermieten. Schließlich verkaufte die Familie Hagspihl den Palast und unter den neuen Besitzern wechselte die Nutzung mehrmals. Die Pizzeria 'San Remo' machte ihn in der heutigen Zeit bald wieder weithin bekannt. Eine ausführlichere Darstellung mit Bildern und den Namen der Arbeiter aus Italien ist nachzulesen im Internet unter www. hergatz. net Mappen mit gleichem Inhalt liegen in der Pizzeria und in der Heimatstube aus (Öffnungszeit nach telefonischer Anfrage: 07522/4164). Am Freitag, 30. Januar, gibt es um 17 Uhr eine Führung im Palast. Treffpunkt ist der Südeingang.