Chronischer Schmerz ist eine schwer nachweisbare Behinderung Westallgäu (ins). Schmerz ist eine Behinderung, die niemand sehen kann. Es gibt auch keine Skala, welche die Stärke von Schmerzen beschreibt. Menschen mit chronischen Schmerzen tun sich deshalb schwer, ihr Leiden zu vermitteln. Martin Schneider aus Heimenkirch lebt seit Jahrzehnten mit starken Kopfschmerzen als Folge eines Schädelbruchs und eines Schleudertraumas. Nach vielen Versuchen und vielen Enttäuschungen mit Krankenkassen und dem Gesundheitssystem hat er mit dem Besuch einer Selbsthilfegruppe einen neuen Weg eingeschlagen: 'Es geht nicht mehr um die Linderung der Schmerzen, sondern um den Umgang damit.'
Vor über 30 Jahren hatte Martin Schneider zwei Unfälle im Abstand von zwei Jahren. Seither lebt er mit 'Kopfschmerzen zum Zerbersten'. Mit diesem Leiden konnte er bald in seinem Beruf auf dem Bau nicht mehr arbeiten. Auf dem Arbeitsamt bekam er zu hören, mit einer solchen Behinderung sei er nicht vermittelbar. Schneider kämpfte nicht nur jahrzehntelang mit den Schmerzen, sondern auch mit Krankenkassen und Behörden. Erst 1995 wurde ihm eine 50-prozentige Behinderung zuerkannt. Für eine vierwöchige Reha-Maßnahme im vergangenen Jahr hat er zwei Jahre lang gestritten. Ein Facharzt hatte dem Patienten eine Kur verordnet, die Kasse lehnte ab. Der Arzt legte Widerspruch ein, Schneider musste sich vom Medizinischen Dienst in Memmingen untersuchen lassen und erhielt wieder eine Absage. Schließlich schickte ihn sein Vertrauensarzt als Akutpatient in eine Schmerz-Fachklinik. Nach zwei Tagen musste er diese wieder verlassen, weil die Kasse die Finanzierung verweigerte. Der Chefarzt nannte diese rigorose Haltung 'eine bodenlose Frechheit'. Martin Schneider findet es einfach 'traurig, wie behinderte Menschen bei den Kassen abgewiesen werden'. Erst als er den Vd K einschaltete, konnte er seinen Anspruch auf den Reha-Aufenthalt auf dem Rechtsweg durchsetzen. Die Behandlung in einer Fachklinik wäre schon früher dringend notwendig gewesen, wie der chronisch Kranke heute weiß. Denn die Behandlung seines Leidens beschränkte sich zuvor auf die Verabreichung von Tabletten. 'Wenn die nicht mehr gewirkt haben, wurden einfach stärkere verschrieben'. Die Schmerztherapie mit Medikamenten birgt immer die Gefahr von Abhängigkeit, wie auch Martin Schneider erfahren musste. 'Du bist halt immer wieder verzweifelt, wenn du Kopfschmerzen hast zum Zerbersten. Dann greifst du zu Tabletten.' Viele Menschen seien sich des Suchtrisikos nicht bewusst und wüssten viel zu wenig über Alternativen zu den Pillen. Alternativen hat der Patient schließlich bei seinem Aufenthalt in der Schmerz-Fachklinik kennen gelernt. Bewegung, Bäder, Schwimmen, Gespräche. Voraussetzung dafür, ohne Medikamente mit chronischen Schmerzen leben zu können, sei eine gründliche Diagnose durch einen Facharzt. Beim Verlassen der Reha-Klinik wurde Martin Schneider ans Herz gelegt, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Diese hat er an den Waldburg-Zeil-Kliniken in Neutrauchburg gefunden. Die Begegnung mit Leidensgenossen erfährt der 65-Jährige als große Stütze. Im Austausch mit den anderen erlebt er das Gefühl des Verstanden-Werdens. Und er erhält viele konkrete Ratschläge von Frauen und Männern, die wie er seit Langem mit einem Leiden leben, das man nicht messen kann.