Die letzten Sonnenstrahlen vor dem Regen erhellen das kleine Wohnzimmer. Krescentia Hefele, die in Hirschzell alle nur Zenzi nennen, wird unruhig. Das Heu muss rein. Die 82-Jährige hat das Gras zum Trocknen vor ihrem Haus ausgebreitet. Das Futter für zehn Ziegen. "Die Tiere sind wie meine Kinder", sagt Zenzi. Denn die Hege, das Ausmisten des Stalls und die Aufgaben rund ums Haus, in dem sie geboren wurde, geben ihr den Tagesablauf vor. "Ohne die Arbeit wäre ich längst tot", lacht die alte Frau mit dem weißen Haar.
Um halb fünf steht sie täglich im Sommer auf und geht mit der Schubkarre raus auf die Wiesen und in die Gärten, um Gras zu holen, das ihr die Eigentümer überlassen. Dann ist sie zum Melken im Stall, zum Füttern und Ausmisten. Erst danach gönnt auch Zenzi sich zum ersten Mal an diesem Tag etwas zum Essen. Ihre Nachbarn gehen zur Arbeit oder bringen die Kinder in den Hort, wenn sie bei schönem Wetter das erste Mal Gras vor der Tür wendet. Steht die Sonne am höchsten, bereitet sie sich Mittagessen und legt sich "manchmal" eine halbe Stunde hin. Dann muss sie wieder Heu machen und in die kleine Scheune bringen, Holz für den Ofen sammeln, die Tiere füttern. Zwischendurch brauchen die Ziegen Zuwendung. "Eben wie Kinder", sagt die Zenzi. Vroni und Susi zum Beispiel, "die wollen immer spielen".
Nie war Zenzi eine echte Bäuerin in ihrem früheren Leben. Ihre Eltern hatten eine Landwirtschaft, gaben den Hof aber auf. Die Tochter arbeitete in der Gablonzer Industrie, kommissionierte 15 Jahre lang Waren für die V-Märkte. Mit 60 ging sie in Rente und bekam ihre erste Ziege geschenkt. Den Stall gab es ja noch. "Irgendwann waren es sogar mal 30 Tiere", erinnert sie sich. Die Ziegenmilch verkaufte sie in der Umgebung oder machte Käse daraus. Heute geht sie es langsamer an. Die Milch trinkt sie gerne selbst. "Das hält jung und gesund", meint Zenzi, die ebenso zierlich wie robust aussieht.
Zur Seite stand ihr drei Jahrzehnte lang Lebensgefährte Max. Im vergangenen Jahr starb er mit 79. Das gemeinsame TV-Gerät gab sie Max in seinen letzten Wochen mit ins Pflegeheim. Nach seinem Tod wollte Zenzi keinen Fernseher mehr. Dort wo er einst im Wohnzimmer seinen Platz hatte, steht heute ein gerahmtes Bild von Max. Er fehlt ihr sehr, sagt sie noch. "Man hat halt reden können."
Ziegenmilch, viel Arbeit und ein einfaches Leben, das sich nach der Natur richtet, mögen die Gründe für Zenzis - man nennt das in diesem Fall wohl unerschütterliche - Lebenseinstellung sein, die sich aus ihren Aufgaben speist. Trotzdem machen sich hin und wieder ihre 82 Lebensjahre bemerkbar. Wenn die Wege mit der vollen Schubkarre doch einmal zu lang und steil werden. Wenn etwas im Haus repariert werden muss.
Oder wenn sie allein ist. Verwandte und Nachbarn sind für sie da, einige Landwirte helfen tatkräftig. Anna Hefele, die Frau ihres Neffen, steht ihr am nächsten. "Eben, wenn ich mich nicht mehr auskenne", sagt die Zenzi.
Im Dorf ist man füreinander da. So wie Zenzi immer für andere da war. Für ihre Familie, für ihren Arbeitgeber. Dann war es Max, heute sind die Ziegen ihr Lebensmittelpunkt. "Die Tiere brauchen mich noch eine Weile", lächelt sie. "Ich tue, was ich kann." Sie fühle sich gesund, es zwickt nichts. Nur der Blutdruck ist etwas hoch. Das passt zu ihr: Sie ist auf den Beinen von morgens bis abends. Längere Wege legt sie mit dem Fahrrad zurück. Autofahren? Da wird ihr doch nur blümerant. Urlaub? "So was habe ich noch nie gemacht", sagt sie. Mit dem Max ist sie aber einmal nach München gefahren.
Ihre Welt ist Hirschzell, mehr will und braucht sie nicht. Bald wird es regnen. Zenzi muss das Heu reinholen. "Heute wird es lang", sagt sie. Aber bis zur Dämmerung ist ja noch viel Zeit.