Bravourös: Ulrike Meyer spielt Bachs Goldberg-Variationen Von Klaus Wowczyk Oberstdorf Seit 1990 fanden 600 brasilianische Kinder in Not in einem vorbildlich geführten Kinderheim in Niteroi bei Rio de Janeiro Geborgenheit und ein Zuhause. Die hohen Geldbeträge zum Unterhalt des Heimes stellt der ehemalige Oberstdorfer Kurseelsorger und Vorsitzende des Vereins Waisenhaus Niteroi, Pfarrer Franz Neumair, Monat für Monat zur Verfügung. So lädt der rührige Geistliche mehrmals im Jahr zu Benefizkonzerten zugunsten der Kinder ein. Ulrike Meyer, Dozentin an der Musikhochschule Karlsruhe, stellte im Oberstdorfer Johannisheim jetzt bei einem dieser Benefizkonzerte Johann Sebastian Bachs Clavier-Übung heute besser bekannt als die Goldberg-Variationen (BWV 988) vor. Bachs bescheidene Kompositionsbezeichnung lässt nicht erkennen, dass uns mit den Goldberg-Variationen der bedeutendste Variationszyklus zwischen dem Werk von William Byrd und den Diabelli-Variationen Ludwig van Beethovens vorliegt. Sprühendes Temperament Bach hat seinen Zyklus für ein zweimanualiges Cembalo konzipiert. So stellte der Vortrag dieser Komposition auf einem einfachen Klavier große Anforderungen an die Pianistin. Ulrike Meyer bewältigte diese schwierige Aufgabe mit Sensibilität, technischem Können und großer Ausdruckskraft bravourös. Langsam, betont feierlich stellte sie den Hörern den Schlüssel zum Verständnis des Gesamtwerks, eine 32-taktige Sarabande, die Aria, vor.
Bachkennern ist das Thema vertraut, denn es steht schon im unscheinbaren zweiten Clavierbüchlein der Anna Magdalena Bach (1725). Aber schon in der ersten tanzartigen Variation bricht das sprühende Temperament der Pianistin durch, das sich bei der Bewältigung der immer schwieriger zu spielenden folgenden Variationen weiter steigerte. Ruhe voll innerer Spannung Mit einem pianistischen Feuerwerk überraschte sie das Auditorium in der durch die Überschlagtechnik gekennzeichneten 14. und 20. Variation, in der mit perlenden Läufen vorgetragenen 26. Variation und schließlich als Höhepunkt und nicht mehr zu übertreffen in der atemberaubenden Darbietung der mit Doppel- und sogar Akkordtrillern gespickten extrem schwierig zu meisternden beiden letzten Variationen. Das lebenslustige, hüpfende 6/8-Takt-Thema der siebenten Variation erwies sich nach dem Konzert als ein liebenswürdiger, aber hartnäckiger Ohrwurm. Die kantable 13. Variation, mit Ruhe aber innerer Spannung vorgetragen, und der besinnliche Canone alla Settima (Var. 21) brachte in reizvollem Kontrast andere Möglichkeiten im Ausdrucksspektrum der Künstlerin zu Gehör. Es gelang Ulrike Meyer trotz der durch das Klavier gesetzten Ausdrucksbegrenzung besonders im Quodlibet den subtilen Humor und Witz des großen Komponisten aufleuchten zu lassen.