Zeitzeugen Niemand erinnert sich an die angeblichen Geschehnisse auf dem St. Mang-Platz">

Artikel: Drama vom letzten Kriegstag wohl nicht zu beweisen

4. November 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung

Zeitzeugen Niemand erinnert sich an die angeblichen Geschehnisse auf dem St. Mang-Platz

Kempten | bec | Was geschah am 27. April, dem letzten Kriegstag in Kempten, auf dem St.-Mang-Platz? Mussten dort Kinder ihr Leben lassen, weil ein letzter SS-Mann seine Ideologie retten wollte? Das zumindest behauptet - wie mehrfach berichtet - ein Kemptener. Er spricht von einer nicht kampflosen Übergabe der Stadt an die Amerikaner und will dabei gewesen sein, als die Hitlerjugend am St.-Mang-Platz in ein letztes Gefecht geschickt worden sei. Doch immer mehr kristallisiert sich heraus: An der Geschichte scheint nichts dran zu sein. Immer mehr Zeitzeugen meldeten sich bei derAZ, doch keiner kann sich an ein solches Ereignis erinnern.

Stabsapotheker Max Leiderer und Stadtrechtsrat Heinrich Zölch, schrieb uns Siegfried Hauser, sollen den Amerikanern damals zur Stadtgrenze Kemptens entgegengefahren sein und, obwohl schon geschossen worden war, die kampflose Übergabe der Stadt erreicht haben. Kampflos, wohlgemerkt. Da kann sich auch Siegfried Hauser an nichts anderes erinnern.

Keine Schüsse

Im heutigen Waisentor wuchs Siegfried Spring auf, damals - bei Kriegsende - acht Jahre alt. "Ich weiß nur noch, dass wir vom Treppenhaus aus die einrückenden Amerikaner beobachtet haben, als sie von der unteren Illerbrücke kommend den Freudenberg hinauffuhren." Alles sei friedlich abgelaufen, ohne Schüsse, erinnert sich der Kemptener und eben auch an den Apotheker Leiderer, der mit dem Motorrad zur Keckwiese gefahren sei, um dort mit einer weißen Fahne die Stadt zu übergeben.

An der Ecke Mehlstraße/Vogtstraße hatten die Großeltern von Bill Dannheimer damals ein kleines Lebensmittelgeschäft. Und oft habe ihm sein Vater Ventur - er war zu Kriegsende zehn Jahre alt - erzählt, wie schwer es die großen amerikanischen Panzer gehabt hätten, um diese enge Häuserecke zu kommen. "Hätte es dieses Ereignis auf dem St. Mang-Platz gegeben, dann hätte er zwangsläufig davon mitgekommen und sicherlich dieses auch einmal erwähnt", ist Bill Dannheimer überzeugt. Deshalb kann er sich auch beim besten Willen nicht vorstellen, "dass an dieser Geschichte etwas wahr sein sollte".

Eine Abschrift einer alten, schlecht lesbaren Durchschrift eines Schreibmaschinenblatts fand Rudolf Prenzel in einem alten Gesetzbuch des Kemptener Finanzamts. Zwar sei die Durchschrift nicht unterschrieben, jedoch glaubt Prenzel, dass dieses Schriftstück von dem bereits erwähnten Apotheker Max Leiderer stammt, der da seine Erlebnisse von eben jenem letzten Kriegstag schilderte.

Verteidigung unmöglich

Er, so heißt es in dem Dokument, habe sich in der Nacht vom 26. auf den 27. April 1945 persönlich davon überzeugt, dass zwischen Memmingen und Kempten keinerlei deutsche Verteidigungskräfte eingesetzt waren. Auch das Kemptener Bataillon sei zu diesem Zeitpunkt bereits seit Tagen aus der Stadt abgezogen gewesen. Unter den gegebenen Umständen "war es unmöglich, an eine Verteidigung der Stadt Kempten zu denken", schreibt der Zeitzeuge.

Um 14 Uhr sei er dann mit einer weißen Fahne zur Kaufbeurer Straße gefahren und habe die Stadt - freilich friedlich - an die Alliierten übergeben.

Wen man auch fragt: Die Geschichte von den toten Hitlerjungen kennt offensichtlich keiner von den Menschen, die das Kriegsende in Kempten miterlebt haben. Und so wird sie vermutlich auch nie etwas anderes sein - als eine Geschichte eben.