Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

Dieses Unrecht lässt mich nicht mehr los

Allgäu

Dieses Unrecht lässt mich nicht mehr los

    • |
    • |

    Von Volker Geyer, Oy-Mittelberg - 3. September 1943, Gefängnis München-Stadelheim: Genoveva Sieradcka ist auf der Guillotine festgeschnallt. Eine Sekunde später löscht der Scharfrichter das Leben der schmächtigen 18-Jährigen aus. Kurz darauf enthauptet der Henker den gleichaltrigen polnischen Landsmann des Mädchens, Heinrich Stefan Gura. Ein Sondergericht der Nazis hatte die beiden Zwangsarbeiter vor 60 Jahren in einem Schnellverfahren zum Tode verurteilt. Die jungen Leute sollen angeblich versucht haben, eine Scheune in Bachtel bei Oy-Mittelberg in Brand zu stecken. Ihr grausames Schicksal teilen die beiden Polen mit vielen anderen Zwangsarbeitern, die vom NS-Regime wegen angeblicher Verbrechen gnadenlos verurteilt wurden. 'Dieses zum Himmel schreiende Unrecht lässt mich nicht los', beschreibt ein Leser unserer Zeitung sein 'beklemmendes Gefühl', wenn er an derartige Verbrechen der Nazis denkt. Zugleich regt der Mann aus Ottobeu-ren eine Geste der Versöhnung an: 'Vielleicht könnte die Gemeinde Oy-Mittelberg ja eine Partnerschaft mit Genovevas Geburtsort auf den Weg bringen.' Als Beispiel für eine ähnliche Geschichte nennt er die Gemeindepartnerschaft zwischen Affing (Landkreis Aichach-Friedberg) und dem polnischen Lobez.

    Partnerschaft nach Justizmord Hier geht die Freundschaft der beiden Kommunen auf einen Justizmord im Dritten Reich zurück (die AZ berichtete): Im Februar 1944 hängten die Nazis einen 21-jährigen Zwangsarbeiter, weil er bei einer Rangelei die Uniform eines deutschen Soldaten beschädigt hatte. 50 Jahre später machte Hans Grabler das Schicksal eines Zwangsarbeiters in Aulzhausen (Gemeinde Affing) zum Thema seiner Studienarbeit an der Universität in Eichstätt. 1997 wurde die deutsch-polnische Gemeindepartnerschaft schließlich besiegelt. 'So etwas könnte ich mir auch bei uns vorstellen', sagt Oy-Mittelbergs Bürgermeister Wolfgang Hützler auf Anfrage der AZ. Allerdings habe er von der erschütternden Geschichte der jungen Genoveva bislang noch nichts gehört. Laut einem Bericht in der AZ von 1989 kommt das polnische Mädchen mit 15 Jahren als Dienstmagd auf einen Bauernhof in Bachtel. 'Wir konnten uns über das Mädle nicht beklagen, sie arbeitete gut und ging lieb mit unseren kleinen Kindern um', erinnert sich der Landwirt in diesem Artikel. Ebenso an den verhängnisvollen Novemberabend im Jahre 1942: Gegen 19.30 Uhr sieht er die 17-Jährige in der Tenne mit einem brennenden Reisigbüschelchen hantieren, das sie aber gleich wieder löscht. In der ersten Aufregung verständigt der Bauer den Dorfgendarmen in Oy. Doch schon am nächsten Tag zieht der Landwirt die Anzeige wieder zurück. Schließlich ist kein Schaden entstanden. Aber der Justizapparat reagiert nicht, sondern verhaftet das Mädchen. Bei einem der vielen Verhöre macht Genoveva schließlich eine für Heinrich - den alle nur Stefan nennen - verhängnisvolle Aussage: Da sie vor Heimweh krank gewesen sei, habe ihr der Stefan geraten, das Haus des Bauern anzuzünden. Daraufhin wird der junge Zwangsarbeiter ebenfalls festgenommen. Und obwohl er stets beteuert, das Ganze nur im Spaß zu Genoveva gesagt zu haben, verurteilen ihn die NS-Richter wegen Beihilfe ebenfalls zum Tode. 'An dieses größte Verbrechen des Gerichts habe ich jedes Jahr mehr als 365 mal denken müssen', erzählte der inzwischen verstorbene Landwirt noch Jahrzehnte nach den Hinrichtungen: 'Immer sehe ich das gute Mädle und den armen Stefan vor mir. Ich schließe beide oft in meine Gebete ein.' Berührt vom Schicksal der beiden Justiz-Opfer möchte Bürgermeister Hützler nun im Oy-Mittelberger Gemeinderat darüber beraten lassen, ob mit Genovevas Geburtsort Nowa-Wiess eine Gemeindepartnerschaft angestrebt werden soll - als Zeichen der Versöhnung.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden