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Die Zukunft isst vegetarisch

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Die Zukunft isst vegetarisch

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    Von unserem Redaktionsmitglied Volker Klüpfel Memmingen/Ettlingen - Frank Oehler ist angekommen. Zum ersten Mal in seinem Leben. So sagt er jedenfalls. Und untermauert das mit Sätzen wie 'Ich bin nicht mehr der Jüngste' und 'Ich fange jetzt Golfspielen an'. Es ist 43 Jahre alt. Sogar das Rauchen hat er aufgegeben. Als er die Glimmstengel noch schachtelweise schlotete, wurde der Spitzenkoch aus dem Unterallgäuer Hawangen zu den 'Jungen Wilden' gezählt. 'Das mit dem jung hat sich erledigt', sagt er grinsend; eine gewisse Wildheit sei geblieben. Die braucht man wohl auch, wenn man mit einem 25-köpfigen Team einem Traditions-Restaurant wie dem 'Erbprinz' in Ettlingen innerhalb von zehn Monaten einen Guide-Michelin-Stern erkocht. 'Er verknüpft hohe handwerkliche Präzision mit kreativen Impulsen', schreibt Gourmet-Führer Gault Millau. Dabei stand seine Karriere zuletzt unter keinem guten Stern: 'D'Rescht' in Hawangen hatte Oehler mit viel Elan und Kreativität zum Gourmettempel für Experimentierfreudige gemacht. Die Kreationen seiner Cucina Erotica, seiner 'geilen Küche' trugen Namen wie Gummibärchenparfait und Blutwurstragout. Kunst am Kochtopf praktizierte er dort. Doch den Weg in die Provinz fanden zu wenige, weshalb Oehler seine Zelte abbrach und ins sonnige Spanien reiste, um dort die Restaurants eines Fünf-Sterne-Hotels zu führen. 'Ich komme nicht mehr zurück', hatte er damals behauptet. Nun ist er wieder da: Das Hotel wurde an eine Billig-Kette verkauft, er ging nach London, lehnte Angebote aus Kuala Lumpur ab, um schließlich in Ettlingen zu landen. Natürlich nicht, ohne in Marbella kulinarische Duftmarken zu setzen: Vier Monate brauchte er für seinen ersten Stern - 'ein Quickie', wie er lächelnd sagt. Vielleicht war Spanien für den Sonnyboy einfach nicht das richtige: Dort macht unter der Führung von Ferran Adrià an der Costa Brava momentan die Laborküche Furore. Mit wissenschaftlichen Methoden werden Aggregatzustände von Speisen verändert, heißes Eis serviert und Kartoffeln in Wasser frittiert. Doch an diesem molekularen Kochen will sich Oehler nicht die Finger verbrennen. 'Schmarren', kommentiert er die akademische Herangehensweise. 'Da fällt mir noch genug anderes ein', fügt er selbstbewusst hinzu. Wie man sich einen Stern erkocht, ist für den Mann mit schulterlangem Haar längst kein Geheimnis mehr: 'Mit Fleiß und Disziplin!' Fleiß Und Disziplin? Da ist von dem jungen Wilden aber nicht viel übrig geblieben. 'Das Hitzige ist weg', gibt er offen zu: 'Ich nehme jetzt Rücksicht auf meine Gäste.' Es blieb ihm auch nicht viel übrig, denn das Erreichen eines Sterns für den Erbprinz war vertraglich festgeschrieben.

    Zwei Jahre hatte er Zeit, nun hat er nicht einmal die Hälfte gebraucht. Zeit zum Ausruhen? 'Ein zweiter Stern wär schön', sagt er. Aber Ettlingen? Das klingt doch eher nach Schupfnudeln und Spätzle. Weit gefehlt! 'Das ist Bundesliga', sagt Oehler. Und er ist der Teamchef, dirigiert mit Headset und Lautsprecher seine Mannschaft, als bekennender Choleriker auch mal in rauem Tonfall. 'Da ist die Front', sagt er. Vor ihm kämpften dort Eckart Witzigmann und Hans Haas. Ein echte Kaderschmiede. Kein Wunder, dass die Kochwelt den neuen Küchendirektor hofiert. Vorträge hält der Hawanger nun. Und das, obwohl ihm die Worte so schnell aus dem Mund sprudeln, wie Sekt aus einer gut geschüttelten Flasche. In seinen Referaten geht es nicht etwa um Soßenrezepte: strategisches Handeln, dialektisches Denken wird dort diskutiert. Denn Oehler blickt über den Tellerrand hinaus. Liest Musil. Will eine neue Denkstruktur in der Küche etablieren. Was schwer ist, denn: 'Die meisten Köche sind blöd.' Doch nur Gastronomen mit Visionen haben Zukunft, glaubt er. Aber wie sieht diese Zukunft aus? Doch Essen aus dem Reagenzglas wie bei Adrià? Oehler winkt ab. 'In Zukunft wird vegetarisch gekocht.' Dank Gammelfleisch werde sich ein neues Bewusstsein entwickeln, das Stichwort dazu laute: 'Organic'. Und die Kochkluft zwischen der breiten Masse, die sich billig und schlecht ernährt, und den wenigen, die auf Qualität achten, werde sich vergrößern. Oehler sieht dieser Zukunft gelassen entgegen. Er wähnt sich auf der richtigen Seite. Er ist angekommen - beim Erbprinz in in Baden- Württemberg. Als er sich auf den Weg macht, baumelt an seinem Arm eine Tüte mit einem Trachtennjanker, den er gerade gekauft hat. 'Allgäu' steht da groß hinten drauf.

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