Interview Der Bariton Dietrich Henschel lobt die Krenek-Inszenierung in Bregenz und beschreibt seine "extreme Rolle" als Karl V.">

Artikel: "Die Oper ist mit der Zeit gegangen"

19. Juli 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
anja kÖhler

Interview Der Bariton Dietrich Henschel lobt die Krenek-Inszenierung in Bregenz und beschreibt seine "extreme Rolle" als Karl V.

Von Ingrid Grohe |BregenzWieder bieten die Bregenzer Festspiele nicht ganz leichte Kost als Hausoper an. Zwölftonmusik, wie sie der Komponist Ernst Krenek in seiner Oper "Karl V." konsequent verarbeitet hat, steht im Verruf, eher kopflastig zu sein. Der Bariton Dietrich Henschel, der in Bregenz die Hauptrolle innehat, schwärmt dagegen im Interview von der Sinnlichkeit und Emotionalität dieser Komposition. Henschel ist in Vorarlberg kein Unbekannter: Er war wiederholt bei Liederabenden des hochkarätigen "Schubertiade"-Festivals zu erleben.

Herr Henschel, mit diesem Gespräch wollen wir unsere Leser ein bisschen neugierig machen auf Karl V. von Ernst Krenek

Dietrich Henschel: Wunderbar! Diese Oper ist es wert, dass man sie erlebt.

Karl V. ist die erste Zwölftonoper. Ihr Bregenzer Dirigent Lothar Koenigs hat gesagt, diese Musik sei über weite Strecken sinnlich. Worin besteht die Sinnlichkeit dieses Werks?

Henschel: In der ungeheuren Zärtlichkeit und der lyrischen Intensität der Komposition. Es gibt Momente, in denen sehr dramatisch zur Sache gegangen wird. Die Emotionen werden in sehr nachvollziehbarer Weise überzeichnet. Heute hörte ich die erste Orchesterprobe. Ich war überrascht, was die Farbigkeit des Orchesters noch hinzugibt, wie es die grandiose Klanglichkeit verstärkt.

Sie haben die Rolle Karls V. als "extreme Partie" bezeichnet. Was sind die besonderen Herausforderungen?

Henschel: Extrem ist die Rolle sowohl für den Kopf als auch für die Physis. Sie ist gesanglich enorm anspruchsvoll, eine sehr lange Partie mit komplizierten, verschachtelten Texten. Dann der enorme Ambitus. Es geht ganz tief runter und ganz hoch hinauf, und das vom Anfang bis zum Ende. Dazu kommt der Anspruch an den Sänger, sich auf die Rolle psychisch einzulassen.

Wie wichtig ist Ihnen das Schauspiel in Ihrer Arbeit?

Henschel: Sehr wichtig. Wenn man auf der Theaterbühne steht, ist man naturgegeben immer ein Schauspieler. Alles, was man auf der Bühne tut, steht im Dienste des Schauspiels - sei es das Medium Gesang, oder das Medium Sprache oder das Medium Tanz - sie alle sind Teil eines theatralischen Endergebnisses. Bei Karl V. ist es offensichtlich, dass die Oper das Primat des Textes erfordert. Der Text erfährt eine Verstärkung aller emotionaler Ausschläge, aller theatralischer Elemente durch das Medium Musik. Krenek hat ja auch selbst das Libretto geschrieben, hat also bewusst geplant, wo gesprochen wird, wo gesungen und wo rhythmisch gesprochen. Mein einziges Problem mit dem Werk ist die antiquierte Sprache. Eine solche Sprache kann leicht zu pathetischen Strukturen führen, dann wird das Stück langweilig.

Für unsere Inszenierung haben wir uns des legitimen Mittels der Streichungen bedient, um dem entgegenzuwirken.

Uwe Eric Laufenberg führt Regie. Wie gefällt Ihnen seine Umsetzung?

Henschel: Es war ein genialer Zug von Laufenberg, die Handlung in ein Klassenzimmer zu verlegen. Im Stück ist Karl der Erzähler und gleichzeitig sich selbst. Laufenberg bringt eine dritte Ebene ein. Der Erzähler ist ein Lehrer. Ich muss aus der Welt dieses Klassenlehrers heraus agieren, der zu Karl mutiert. Das Changieren zwischen den Ebenen ist psychologisch und emotional sehr anstrengend. Ich finde es als Darsteller erstaunlich, was für eine zwingende innere Logik diese drei Ebenen haben. Das führt zu einer Eigendynamik, die für mich bewegender ist, als es die originale Konfrontation von nur zwei Ebenen gewesen wäre.

Liegt es vor allem an den Regisseuren, dass von Opernsängern schauspielerisch immer mehr abverlangt wird?

Henschel: Nicht unbedingt. Es ist eine Entwicklung der letzten Jahre, dass das Niveau immer höher wird. Man spürt das daran, wie man mit Kollegen kooperiert. Das sind richtig intelligente Schauspieler. Man kann mit denen zusammenarbeiten, ohne dass diese Sangesbarriere dazwischensteht, wegen der die Oper so ein antiquiertes Image hat. Es ist schön, wie die unterschiedlichen Kulturen mit dieser Entwicklung umgehen. Ich habe in diesem Jahr in Frankreich, Belgien und Spanien bei Opernproduktionen mitgearbeitet. Auch dort wird erheblich moderner geschauspielert als vor ein paar Jahren. Man kann sagen: Die Oper ist mit der Zeit gegangen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir erst jetzt in der Lage sind, so etwas wie Karl V. zu produzieren.