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Die Kinder werden einfach aussortiert

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Die Kinder werden einfach aussortiert

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    Von Samia Siebenrok-Safangy Niederrieden - Der 'enorme Leistungsdruck in der Schule' erschwere die Förderung von Kindern mit Legasthenie, die auch als Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) bekannt ist. Dies beklagten bei einer Veranstaltung von Bündnis 90/Grünen in Niederrieden zwei Fachfrauen, die von Landratskandidatin Doris Kienle eingeladen worden waren. In einer kleinen, aber sehr engagierten Runde im Café in Niederrieden ging es um die Früherkennung von Legasthenie und um Förderungsmöglichkeiten. Monika Fehnl, Dozentin für Legasthenieförderung am Institut für Lerntherapie, Beratung und Ausbildung (ILBA) in Ulm, und Andrea Drosihn-Lodd, Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie, diskutierten mit betroffenen Müttern unter anderem über die aktuelle Situation im Landkreis. Laut Fehnl ist die Frühförderung von Lese- und Rechtschreibschwäche sehr einfach. Die Erziehungsberechtigten müssten eine Hellhörigkeit entwickeln und auf die Grundbausteine des Lesens und Schreibens beim Nachwuchs achten. Legastheniker kämpften mit einem deutlich erschwerten Erlernen der Laut- sowie Buchstabenzuordnung. Herauszufinden sei: 'Wie nimmt das Kind die Worte wahr? Kann es Einzelheiten erkennen? Kann es einen ganzen Satz lesen, ihn auch verstehen und den Sinn für den Zuhörer verständlich weitergeben? Kann es eigene Texte verfassen?' Die überforderten Kleinen reagieren nach Einschätzung der Fachleute im Unterricht mit Aggressivität, sie ziehen sich zurück, oder sie spielen den 'Klassenkasper'. Das Selbstvertrauen des Kindes nimmt ab. Manche Lehrer versuchten die Eltern mit den Worten: 'Das wächst sich aus!' zu beruhigen, was nach Fehnl ein Irrtum ist. Je früher die Legasthenie entdeckt wird - am besten im Vorschulalter - , desto erfolgreicher die Therapie. 'Leider arbeitet mir das Schulsystem momentan in die Hände', ließ die Therapeutin Fehnl verlauten. 'Der Druck auf die Schüler ist enorm, alles geht zu schnell und die Kinder werden einfach aussortiert', beklagte sie. 'Außerdem', fügte Drosihn-Lodd hinzu, 'steht Legasthenie nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen, was für die Eltern eine zusätzliche finanzielle Belastung bedeutet.' Eine qualifizierte Therapie, die eine Zeitspanne von zwei bis drei Jahren beanspruche, koste an die 160 Euro monatlich, die von den Eltern getragen werden müssen. Zudem werde im Landkreis zu wenig gefördert und es herrsche ein Mangel an Therapeuten. Nur in bestimmten Fällen komme es zu einer Kostenübernahme nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Hierzu müsse allerdings eine 'drohende seelische Behinderung' feststellbar sein.

    Nicht 'einfach zu faul'Laut der Fachärztin gilt es die Krankheit erst zu erkennen, um danach eine umfangreiche Diagnostik und eine fachliche Diagnose erstellen zu lassen. Die Wartezeit am 'Sozial Pädiatrisches Zentrum' (SPZ), das der Kinderklinik in Memmingen angegliedert ist, beträgt allerdings 'ein halbes Jahr', wusste Lehrerin Judith Neß aus der Erfahrung mit einem Schüler ihrer ersten Klasse. Der Tenor betroffener Mütter - so wurde in Niederrieden deutlich - zeigte eine Unsicherheit im Umgang mit der Legasthenie, da manche Lehrer ihnen suggerierten, ihre Kinder seien 'einfach zu faul'. Kreisrätin Kienle versprach, sich wegen der Thematik mit der IHK und mit dem Schulamt in Verbindung zu setzen.

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