Artikel: Die Erfüllung eines Lebenstraumes

13. Januar 2003 20:29 Uhr von Allgäuer Zeitung

Nepalesin, die Schwester in Marktoberdorf hat, berichtet von zweifacher Everest-Besteigung

Von Verena Stitzinger, Marktoberdorf/Nepal - Schon zweimal hat sie den höchsten Berg der Welt bestiegen, doch das sieht man der kleinen Frau mit der zierlichen Nase und den langen schwarzen Haaren nicht an. Bescheiden ist sie zudem. Und so hätte der Besuch der nepalesischen Extrem-Bergsteigerin Pemba Dolma Thaktopa bei ihrer Schwester, die in Marktoberdorf lebt, fast unbemerkt bleiben können. Wäre da nicht die Idee gewesen, recht spontan einen Diavortrag über die Everest-Besteigung zu halten. Und so erfuhren rund 200 Zuhörer im Pfarrsaal St. Martin von den Erlebnissen der Nepalesin. Schon vor 16 Jahren hat es Tshering vom Himalaya ins Ostallgäu verschlagen. Die Nepalesin hatte einen Bergsteiger aus Marktoberdorf kennen gelernt. Peter Guggemos war oft in Tsherings Heimat unterwegs, hat auch schon Achttausender bestiegen. In dem fremden Land erlebte der Bauleiter aber nicht nur unvergessliche Expeditionen, er fand dort auch seine jetzige Ehefrau. Und in ihrer Familie ist ihr Mann nicht der einzige, der 8000 Meter hohe Berge erklettert: Tsherings jüngere Schwester, die 30-jährige Pemba. Sie berichtete in ihrem Diavortrag über ihre zweifache Everest-Besteigung - für mitteleuropäische Ohren ungewohnt bescheiden und humorvoll: 'Auf der einen Seite geht es hinunter nach Tibet und auf der anderen Seite nach Nepal.' So unspektakulär klingt es, wenn die Bergsteigerin die Gefahr eines hunderte Meter tiefen Absturzes schildert. Im Jahr 2000 war Pemba als erste nepalesische Frau auf den 8848 Meter hohen Gipfel von der Nordseite geklettert. Damals bedeutete dies die Erfüllung eines Lebenstraumes. Denn die Nepalesin ist in Namche Bazar aufgewachsen, in einem Tal, das zum Mount Everest führt. Vielen Bergsteigern ist sie dort begegnet.

Und dann war da diese Bergkuppe, über die sie laufen musste, um zur Schule zu kommen - von dort war er oft zu sehen, der Mount Everest. 'Schon als Kind dachte ich, ich würde da gerne hinauf', erklärt Pemba. Dann wurde ihr angeboten, sich einer Expedition von Tibet aus anzuschließen und sie war dabei. Doch am Berg gab es Streitigkeiten. Da machte sich die Bergsteigerin allein auf den Weg zum Gipfel und erreichte ihr Ziel. Danach wurde sie in Nepal berühmt, erhielt sogar die Nationalmedaille vom König. Nun nutzt sie ihre Popularität, um mittellosen Familien zu helfen. Sie ermöglicht mehreren Kindern den Schulbesuch, was in Nepal keine Selbstverständlichkeit ist. Trotz ihrer Berühmtheit schildert Pemba ihre Erfolge immer bescheiden. 'Wir haben eben kein Auto und müssen viel laufen', antwortete sie den Zuhörern in Marktoberdorf beispielsweise auf die Frage, wie sie für den Everest trainiert habe. Wieso sie sich den Gefahren und den Strapazen noch ein zweites Mal ausgesetzt hat? 'Ich wollte auch einmal von meinem Heimatland aus hinauf', meint sie. Ganz einfach. Das hat sie auch dem nepalesischen König geschrieben, woraufhin dieser ihr die Besteigungserlaubnis, die normalerweise rund 10000 Euro pro Person kostet, geschenkt hat. Das war eine große Hilfe, schließlich hat die Nepalesin keinen Sponsor. Ihre Gipfel-Besteigung von der Südseite war deshalb keine 'Luxusexpedition', wie sie es schmunzelnd nennt. Doch auch ohne viele Träger und mit wenig Ausrüstung waren sie und ihre italienischen Begleiter am 16. Mai vergangenen Jahres erfolgreich. Und jetzt ist sie die erste Nepalesin, die den höchsten Berg der Welt von beiden Seiten bestiegen hat.