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Die digitale Welle hat auch uns voll erwischt

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Die digitale Welle hat auch uns voll erwischt

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    Memmingen (maj). - Der Handzettel vom 21. November 1956 ist längst vergilbt. Und auch die darauf gedruckten Worte sind Botschaften aus einer Zeit, die nur noch in der Erinnerung existiert: 'Meine langjährige Erfahrung bietet ihnen die Gewähr, daß Sie beim Kauf Ihrer Foto-Ausrüstung gut beraten werden. Mit Tips und Anregungen für gute Aufnahmen und deren Ausarbeitung stehe ich Ihnen stets gerne zur Verfügung', schrieb Helmut Kroll vor 49 Jahren zur Eröffnung seines neuen Foto-Geschäftes im Schmelzgässle 2. Fast ein halbes Jahrhundert war Foto Kroll dann eine der bekanntesten Adressen des Memminger Einzelhandels. Und nun ist Schluss. Zum 31. Dezember schließt die Familie Kroll ihr Fachgeschäft. Eine Nachfolgenutzung für den Laden ist derzeit nicht in Sicht. 'Die digitale Welle hat auch uns voll erwischt', sagt Helmut Krolls Sohn Werner, der mit seiner Frau Heide selbst 40 Jahre lang 'Tag und Nacht' im Geschäft stand. Seit 1965 am Josefskirchplatz, ab 1994 in der City-Passage. Im Mai wird Werner Kroll 63. In zwei Jahren wollte er ohnehin aufhören. 'Deswegen bin ich in die digitale Fotografie ganz bewusst nicht mehr eingestiegen. Denn die dafür benötigte Ausstattung wäre sehr teuer gewesen, und die Kosten hätte ich gar nicht mehr reingekriegt', erklärt der stadtbekannte Fotografenmeister, der wie sein Vater lange Jahre auch für unsere Zeitung Bilder schoss. Der Siegeszug der digitalen Fotografie ist aber nicht der einzige Grund, warum sich das Ehepaar Kroll schweren Herzens entschlossen hat, nun einen Schlussstrich zu ziehen.

    Die Meilensteine des Lebens 'Die Leute holen keinen Fotografen mehr, wenn es darum geht, die Meilensteine ihres Lebens im Bild festzuhalten', erläutert der 62-Jährige wehmütig, aber ohne Groll. 'Und wenn man eine neue Kamera kauft, lässt man sich zunächst eine Stunde im Fachgeschäft beraten und bestellt das Gerät anschließend im Internet.' Wer dann seine Filme entwickeln lassen möchte, der gehe heute halt schnell in einen Drogeriemarkt.'Da ist es dann auch kein Wunder, wenn unsere Schublade mit den Aufträgen nicht mehr prall gefüllt ist wie früher, sondern nur noch zu einem Viertel', erzählt Heide Kroll, die von ihrem Mann als 'Seele des Geschäfts' bezeichnet wird. Was bleibt, sind unendlich viele Erinnerungen im Album des Gedächtnisses. Denn nach dem Tod von Lokalinstitution Helmut Kroll rang sich sein Sohn 1997 dazu durch, eine dreiviertel Tonne Negative zu entsorgen: 'Wir wären sonst nicht mehr fertig geworden damit', sagt der Fotograf mit Leib und Seele, den diese Entscheidung viel Herzblut gekostet hat. Doch die Erinnerungen sind bei den Krolls, die zwei Töchter und fünf Enkel haben, sowieso ganz woanders gespeichert, ganz tief in ihrem Inneren. Etwa daran, wie Werner Kroll als Vierzehnjähriger sein erstes Zeitungsfoto machte, weil sein Vater keine Zeit hatte. Und das war ausgerechnet ein Porträt des Schauspielhelden Willy Birgel, der auf der Reise von München nach Zürich Station in der Bahnhofsgaststätte machte. In den Jahren darauf schoss Kroll Abertausende von Fotos, die er nie gezählt hat. Er war beispielsweise mit Bundeskanzler Willy Brandt beim Mittagessen und für die Hochzeitsfotos von Schlagersängerin Lena Valaitis verantwortlich; er hielt unter anderem große Industrieprojekte und kleine Knirpse beim Kinderfest für die Nachwelt fest. Nach vier Jahrzehnten kann sich Werner Kroll nur an eine einzige Panne erinnern. 'Ausgerechnet beim 50. Geburtstag meiner Frau habe ich vergessen, einen Film einzulegen.' Im Zeitalter der Foto-Handys sind das Erinnerungen an eine Zeit, in der auch mal etwas schiefgehen konnte - aber in der die Fotografie noch ein echtes Handwerk für Könner wie Werner Kroll und seinen Vater war.

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