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Die beste Förderung - ganz nebenbei im Spiel

Scheidegg

Die beste Förderung - ganz nebenbei im Spiel

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    Die beste Förderung - ganz nebenbei im Spiel
    Die beste Förderung - ganz nebenbei im Spiel Foto: matthias becker

    Alle Kinder strecken die Zunge raus. Ganz weit. Christoph erreicht sogar die Nasenspitze. Und danach schieben sie die Zunge in die linke Wangenhöhle, sodass sich eine dicke Beule bildet - genau so, wie es der Elefant macht, wenn er einen großen Salatkopf verspeist. Beim Elefantenlied kommen alle Selbstlaute dran: "Bebele" singen die Buben und Mädchen oder "Bobolo", während die kleinen Füße auf den Boden stampfen. "Jetzt müsst ihr den Mund weit aufmachen", sagt die Erzieherin Martha Fleschhut. "Damit das A rauspurzeln kann."

    15 Kinder in der Gruppe

    In der integrativen Gruppe im Scheidegger Kindergarten St. Gallus geschieht Förderung ganz nebenher, im gemeinsamen Spiel. 15 Kinder gehören zur Kastanienbaumgruppe, fünf davon sind in irgendeiner Weise in ihrer Entwicklung verzögert oder eingeschränkt. Meist haben sie motorische oder sprachliche Defizite. Auch Kinder mit Behinderungen werden hier aufgenommen, zum Beispiel Andrea Lechermann aus Lindenberg, die bis vergangenen Sommer zur Kastanienbaumgruppe gehörte. Andrea hat das Down-Syndrom. "Die beste Förderung für ein Kind mit Down-Syndrom ist der Umgang mit Nichtbehinderten", erklärt Karin Lechermann, die Mutter von Andrea.

    Schon im zweiten Jahr bietet St. Gallus diese Gruppe an. 15 Kinder werden hier von drei Fachkräften betreut. In Regelgruppen kommen ungefähr 25 Kinder auf zwei Betreuerinnen. "Wir können ganz anders auf den Einzelnen eingehen", sagt Martha Fleschhut. Und somit Schwächere besser einbinden und unterstützen.

    Die 51-jährige Erzieherin arbeitet seit 13 Jahren im Kindergarten St. Gallus. Was ihr aufgefallen ist: "Die Sprache macht immer mehr Probleme - und die Wahrnehmungsfähigkeit." Damit meint sie nicht allein die verzögerten Kinder. Insofern profitieren alle Kastanienbaum-Kinder von den Sprachübungen beim Elefantenlied und von der auffallend ruhigen Atmosphäre im Raum. "Wir versuchen, noch mehr Reize abzubauen", erklärt Fleschhut und konkretisiert: "Weniger Schränke, weniger Spiele.

    Das tut allen gut. Einfach weniger optische Reize und Anregungen."

    Beim Freispiel dürfen die Drei- bis Sechsjährigen heute ganz tief in den Farbtopf greifen. Kleisterbilder werden gefertigt. Mit blau-rot verschmierten Händen und rotem Plastikkittel arbeitet Selina an ihrem Werk. Berge will sie malen, die Erzieherin unterstützt mit Sprüchen und gesungenen Versen: "Zicke-zacke-zicke-zacke" - und das Gebirge entsteht. "Hin und her, hin und her, das ist doch gar nicht schwer" - und schon wird aus dem Gebirge ein Wolkenmeer. Selina gegenüber lehnt sich Christoph mit sichtlicher Wonne über sein Bild, und sein ganzer plastikbeschürzter Bauch taucht in graubraunen Kleister.

    Sich Zeit nehmen ist wichtig

    "Das Wichtigste bei der Arbeit mit Kindern ist das Sich-Zeit-Nehmen", sagt Martha Fleschhut, die sich derzeit zur Fachkraft für Integration ausbilden lässt. Sie will ihren Schützlingen individuell die Zeit geben, die sie benötigen. So gut wie nie nimmt die Erzieherin ein einzelnes Integrationskind zur Förderung aus der Gruppe. Lieber arbeitet sie intensiv mit Zweiergruppen. Dabei unterstützen die Kinder sich gegenseitig. Auf diese Weise wird keinem entwicklungsverzögerten Kind ein Stempel aufgedrückt. Jedes ist akzeptiert. Diese Grundhaltung im Scheidegger Kindergarten hat Karin Lechermann als große Offenheit erfahren.

    Über drei Jahre ist ihre Tochter Andrea hier mit viel Liebe betreut und dabei so gut gefördert worden, dass sie heute in eine normale Klasse der Lindenberger Grundschule geht.

    Dass nicht nur die entwicklungsverzögerten oder behinderten Mädchen und Buben von der integrativen Arbeit in St. Gallus profitieren, ist Eltern wie Erzieherinnen klar. "Alle lernen auf diese Weise, Andersartigkeit in der Gesellschaft zu akzeptieren, anstatt Fremdartiges auszugrenzen", sagt Karin Lechermann.

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