Artikel: Der Mensch - irgendwo zwischen Raum und Zeit

9. Dezember 2002 20:30 Uhr von Allgäuer Zeitung

Der Amerikaner Doug Aitken zeigt im Kunsthaus Bregenz seine beeindruckenden und raffinierten Installationen

Von unserer Mitarbeiterin Babette Caesar, Bregenz - Es beginnt mit einem gleichmäßigen Atmen, das langsam seinen Rhythmus beschleunigt, und es endet, einem inneren Kreislauf gleich, mit dieser lebensbestimmenden Luftzirkulation. Unter jeder Haube ertönen die elektronisch reproduzierten Atemgeräusche eines jeweils anderen Menschen und sollen Besucher mittels am Boden aufgestellter hölzerner Sitz- und Liegeelemente einstimmen auf die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. Man könnte sich an eine großflächig angelegte Inszenierung für gruppentherapeutisches Atmen erinnert fühlen, was der amerikanische Künstler Doug Aitken am Beginn seiner Ausstellung 'New Ocean (a shifting exhibition)' im Erdgeschoss bietet. Doch weit gefehlt, wer hier bereits sein (Vor-)Urteil besiegelt. Denn was in den drei darüber liegenden Stockwerken folgt, ergibt eine in sich geschlossene Einheit in den Raum installierter visuell wie akustischer Kompositionen. Doug Aitken, 1968 in Kalifornien geboren, gehört seit Ende der 90er Jahre mit der Präsentation seiner preisgekrönten Videoinstallation 'Electric Earth' auf der 48. Biennale von Venedig zu einem vielbeachteten Künstler im Bereich der Medienkunst. 'Entleerte', von Menschen nur scheinbar noch unberührte Landschaften stehen menschlichen Existenzen in urbanen Räumen gegenüber. Die Szene ist für Aitken nichts weiter als eine Szene, ein festgehaltener Augenblick, bei dem ihm der Schluss egal ist.

Nur die Komposition interessiert ihn wirklich. Und hierin besticht Aitken durch seine Intelligenz, denn steht man schließlich mittendrin ist die schützende Distanz verloren, prallen die Bilder ungefiltert in das Gesichtsfeld, wird es eng und frontal. Aitkens zeitweilige Romantik gibt hinter der Fassade keine der gewohnten Sehnsüchte nach Geborgenheit zu erkennen - sie ist ein Bluff, wenn eine junge Asiatin mit ihrem Kind auf dem Arm vor einer Mülldeponie in die Ferne blickt. Brillant verschiebt Aitken seine Figuren von einer Leinwand auf die andere, fängt ihre Geschichten neu an, gerade, weil er uns eben noch in dem Glauben ließ, von nun an würden sich die Sequenzen nach bewährtem Muster lediglich wiederholen. Zwischen Raum und Zeit, an keinem wirklichen Ort, wo der Mensch gleichzeitig überall und nirgends ist, dort ist 'New Ocean' angesiedelt. Ein begehbarer Zylinder, der die Glasdecke des Kunsthauses durchbrochen hat, beherbergt das zentrale Werk 'New Ocean Cycle' (2001). Tropfen auf einer monumentalen Rundprojektion, die sich in einem Meer verlieren und zu spiegelbildlich sich verdoppelnden Wasserfällen anschwillen, berauschen Auge und Ohr. Und ganz im Sinne von Aitken, für den es keine gesicherten Orte mehr zu geben scheint, dreht er seinen Film um, stellt ihn auf den Kopf und die Tropfen tropfen nach oben. Sein Spiel mit den Dimensionalitäten ist zu einer der beeindruckendsten und technisch perfektesten Installationen geworden, die das Kunsthaus bisher gezeigt hat. i Geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10-bis 18 Uhr, Donnerstag von 10 bis 21 Uhr ( bis 26. Januar).