Therapie Die Westallgäuerin Manuela Scheuerer-Dostal (33) muss nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand vieles neu lernen - Das Pferd Tessa und die Reittherapeutin Manuela Gerstmayr helfen ihr dabei">

Artikel: Der lange Weg zurück in die Normalität

28. November 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung

Therapie Die Westallgäuerin Manuela Scheuerer-Dostal (33) muss nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand vieles neu lernen - Das Pferd Tessa und die Reittherapeutin Manuela Gerstmayr helfen ihr dabei

Von Sabrina Müller |Stiefenhofen/LindenbergZärtlich, aber konzentriert streichelt Manuela Scheuerer-Dostal über Tessas Hals. Für den Moment scheint die 33-Jährige in einer anderen Welt zu sein - an einem Ort, in dem es nur sie und das norwegische Fjordpferd gibt. Sie wirkt glücklich und erst die Frage "Wo tust du die Füße rein?" bringt sie gedanklich zurück auf den "Pferdehof Aufwind" in Hopfen bei Stiefenhofen (Westallgäu). "Steigbügel."

"Was ist das?" stellt Reittherapeutin Manuela Gerstmayr die zweite Frage. "Ein Sattel". Dass Gerstmayrs Schülerin ohne Zögern antwortet, ist keine Selbstverständlichkeit. Für Manuela Scheuerer-Dostal war es ein langer Weg hin zu dem, was die meisten Menschen als "normal" ansehen. Seit einem Herz-Kreislauf-Stillstand vor etwa zwei Jahren ist sie stark eingeschränkt: Die gelernte Arzthelferin kann Englisch und Französisch, vergisst aber manchmal, was es zum Mittagessen gab. Oft weiß sie, was sie macht, kann es aber nicht benennen.

Der Herz-Kreislauf-Stillstand beim Joggen um den Lindenberger Waldsee brachte die Kehrtwende im Leben der zweifachen Mutter: Nach erfolgreicher Wiederbelebung blieben schwere Schädigungen im Gehirn zurück, das Kurzzeitgedächtnis funktioniert nur eingeschränkt. Manuela Scheuerer-Dostal litt unter extremen, unnatürlichen Spannungszuständen der Körpermuskulatur. Das ist besser geworden, aber nicht weg. Ihre visuelle Wahrnehmung war stark gestört - und ist es teilweise noch immer. Hindernisse wie Laternen oder Mülltonnen sah sie nicht, ist einfach dagegen gelaufen, beschreibt Betreuerin Uschi Förster die Anfangsphase.

"Grüß Gott", sagt Scheuerer-Dostal und neigt den Oberkörper nach vorn. Mit großen Augen und einem Grinsen blickt sie vom Pferderücken aus in ein Phantom-Publikum am Rande der Koppel. "Tessa Schritt", lautet ihre Anweisung und das Pferd setzt sich in Gang. In ihrer rechten Hand hält die Reiterin einen Löffel - darauf ein Ei, das nur knapp ein ums andere Mal nicht über den Rand kullert.

Wichtiger Baustein für Genesung

Nach ihrem Aufenthalt im Krankenhaus ist Manuela Scheuerer-Dostal zur Lebenshilfe nach Lindenberg gekommen - im Wohnheim und in den Werkstätten wird sie "dauernd gefordert und gefördert", sagt Lebenshilfe-Chef Frank Reisinger. Das Reiten in Hopfen ist ein weiterer wichtiger Baustein bei ihrer Genesung. Wenn das ausfallen würde, "wäre ich sehr traurig", sagt Manuela Scheuerer-Dostal knapp.

Seit gut einem Jahr kommt sie gemeinsam mit ihrer Betreuerin ein- bis zweimal die Woche vorbei. Seither hat sie viel gelernt: Sie weiß, wie sie aufsitzen muss und was zu tun ist, um Tessa nach links oder rechts zu lenken. Uns sie hat keine Angst mehr, Hofhund Baily mit aufs Pferd zu nehmen.

Wurfübung mit Tennisball

Tessa steht. Vorsichtig greift Manuela Scheuerer-Dostal in eine Plastikschale, die auf einer Holztonne neben ihr steht. Sie nimmt einen neongelben Tennisball heraus und sucht fragend nach einem Eimer, der am Boden steht. Nicht sofort kann sie ihn sehen, die Augen schauen einfach darüber hinweg. Dann hat sie ihr Ziel fixiert und nur wenige Augenblicke später landet der erste Treffer mit einem "Plopp" am Boden des Plastikgefäßes.

Betreuerin Uschi Förster hat festgestellt, dass die Orientierung in bekannter Umgebung besser geworden ist. "Sie nimmt Hindernisse besser wahr und kann Augenkontakt halten." Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit hätten sich verbessert - sie sei lebensfroher geworden. Auch das Kurzzeitgedächtnis funktioniere dank des Reitens etwas besser. "Sie findet langsam ihre Mitte wieder", sagt Förster.

Für Reittherapeutin Manuela Gerstmayr ist Pferd Tessa ein "Spitzen-Mitarbeiter". "Es erkennt den emotionalen Zustand des Reiters, wertet nicht und ist immer ehrlich." Deshalb ist das Tier als "Sensor" wichtig in der Therapie. Es spiegelt die Empfindungen seines Reiters wider. "Sackt oben jemand zusammen oder sitzt schlaff, dann ändert das Pferd sein Verhalten", sagt sie.

Mit zarter, zurückhaltender Stimme fordert Manuela Scheuerer-Dostal Tessa zum Traben auf und das Pferd beginnt, Schritt und Geschwindigkeit zu ändern. Dann ziehen sich die Mundwinkel der Reiterin nach oben. Sie strahlt. Wirkt glücklich - wie in einer anderen Welt.