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Der ganze Stolz eines Dorfes

Westallgäu

Der ganze Stolz eines Dorfes

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    Der ganze Stolz eines Dorfes
    Der ganze Stolz eines Dorfes Foto: matthias becker

    Das Maibaum-Aufstellen gehört zu den wenigen Bräuchen im Westallgäu, die keinen christlichen Hintergrund haben. Im Gegenteil: Wie Kreisheimatpfleger Werner Dobras im Gespräch mit unserer Redakteurin Ingrid Grohe erläutert, wurden Maibäume von Priestern früher eher kritisch gesehen. Immerhin sind die schmucken Bäume nicht nur Zeichen dörflichen Selbstbewusstseins, sondern ursprünglich Phallus-Symbole.

    Herr Dobras, Sie sind nicht nur Kreisheimatpfleger, sondern auch Maibaum-Experte. Wenn Sie einen Maibaum in einem Ort sehen - worauf achten Sie beim ersten Blick?

    Werner Dobras: Ich bin natürlich kein Maibaumexperte. Aber als Kreisheimatpfleger gehört es zu meinen Pflichten, sich um Brauchtum zu kümmern - und die Maibäume liebe ich besonders. Worauf ich achte: Das ist vor allem der Platz, wo der Baum steht, dass der Stamm gerade ist - was in der Regel der Fall ist. Ich achte auf die Spitze, die einige Gestaltungsmöglichkeiten zulässt, etwa indem man den Wipfel am Stamm belässt oder ein Bäumchen draufsetzt oder durch die Kränze - die sollten echt sein. Und genau schaue ich die Tafeln am Stamm an, die können aus Metall oder aus Holz sein, gemalt oder geschnitzt.

    Welche Themen sind auf den Tafeln dargestellt?

    Dobras: Vor allem Zeichen der Handwerker, die am Ort ihre Betriebe haben, oder auch anderer Geschäfte - teilweise sind sogar die Sparkassen vertreten. Schön finde ich, wenn sich Vereine darstellen. Die Tafeln sind ein Überblick über das Dorfleben.

    Entgegen vorherrschender Meinung gehört der Maibaum in unseren Breiten nicht zu den alten Bräuchen

    Dobras: Wir müssen zwischen Zweierlei unterscheiden: den Maien und den Maibäumen. Die Maien gibt es schon viel länger. Maien sind kleine, geschmückte Bäumchen, die Burschen vor dem Haus der Geliebten aufstellten. Das gibt es heute noch. Auch anderen Personen, die man ehren will, stellt man zuweilen Maien auf, etwa einem neu gewählten Gemeindeoberhaupt oder Gemeinderäten.

    Und die Maibäume?

    Dobras: Sie sind bei uns nicht sehr alt. In Oberbayern gab es sie schon Anfang des 19. Jahrhunderts. Das hatte politische Gründe. Bayern hatte die Selbstverwaltung eingeführt, und mit den Maibäumen drückten die Dörfer ihr Selbstbewusstsein aus. Bei uns ist der älteste Maibaum 1924 in Oberreitnau nachweisbar. Wirklich aufgekommen ist der Brauch in den 1930er Jahren in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Hier verstand man sie als Sache des nationalen, germanischen Stolzes. Nach dem Krieg war es vorbei damit - man sah die Maibäume als Relikte der Nazizeit. Im Landkreis Lindau wurde 1951 erstmals wieder ein Maibaum aufgestellt, seither werden es immer mehr.

    Wofür steht der Maibaum als Symbol?

    Dobras: Er ist im Grunde genommen ein Phallus-Symbol. Was jedoch von manchen Leuten bestritten wird. Der Maibaum ist ein Symbol für die Lebensrute, ein Lebensbaum. Deshalb finde ich es sehr schade, dass er heute - vor allem aus versicherungstechnischen Gründen - von Bagger und Kran aufgestellt wird. Damit geht die Kraft als Teil der Symbolik verloren - sie wird einfach auf Maschinen übertragen.

    Wie stellten sich in den vergangenen Jahrzehnten Vertreter der Kirchen im Allgäu zum Maibaum-Brauchtum?

    Dobras: Es gibt heute kaum Probleme. Früher schon, weil man ein Sex-Symbol darin sah und den Brauch mit Sittenlosigkeit in Verbindung brachte. Da war davon die Rede, dass Mädchen die Burschen in den Wald begleiteten, um ein Bäumchen zu holen. Und als sie zurückkamen, waren sie keine Jungfrauen mehr.

    Immerhin 15 Gruppen und Vereine haben sich angemeldet, um an der Maibaum-Prämierung unserer Zeitung und der Meckatzer Löwenbräu teilzunehmen. Erlebt der Maibaum einen Boom?

    Dobras: Ja, der Maibaum erlebt einen Boom. Jedes Jahr kommen neue hinzu. Es ist schön, dass es inzwischen Maibaumvereine gibt und man sich um die Schilder sehr bemüht. Das zeigt, dass man sich ernsthaft mit dem Brauchtum beschäftigt.

    Wie lange bleiben Maibäume stehen?

    Dobras: Normalerweise bis etwa Erntedank, also bis Oktober. Teilweise gibt es unschöne Sitten. Zum Beispiel, dass man - als Wettbewerb - den Baum in Windeseile zersägt und die Tafeln versteigert.

    Für Spannung sorgt in jedem Jahr der Maibaumklau. Was ist nach der Tradition eigentlich erlaubt und was nicht?

    Dobras: Es gibt keine festgeschriebenen Regeln, auch wenn das immer behauptet wird. Im Prinzip gibt der Anstand vor, was erlaubt ist. Es sollte immer so zugehen, dass das freundliche nachbarschaftliche Verhältnis erhalten bleibt. Wirklich nicht erlaubt ist ein Diebstahl aus geschlossenen Räumen - etwa Scheunen - , ebenso das gewaltsame Entführen des Baumes und Beschädigungen. Die Verhandlungen müssen natürlich auch fair und mit gewissem Humor geführt werden.

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