Ein Beruf, der sich in den letzten Jahren gewandelt hat Von Dirk Ambrosch Kaufbeuren Der Kuckuck ist gar keiner. 'Pfandsiegel' steht nur drauf auf dem rechteckigen, weißen Aufkleber, mit dem der Gerichtsvollzieher beschlagnahmte Gegenstände kennzeichnet. 'Irgendwas sieht im Schriftzug wohl vogelähnlich aus. Deswegen hat sich im Volksmund der Kuckuck eingebürgert', erklärt Heinz Nell. Aber eigentlich mag er über das Thema nicht reden, weil ihn wirklich jeder darauf anspricht. Dabei ist es doch so, dass er lange überlegen muss, wann er das letzte Pfandsiegel geklebt hat. Der Gerichtsvollzieher sagt: 'Der Beruf hat sich in den letzten Jahren gewandelt.'
Ein Gerichtsvollzieher untersteht als 'eine Art selbstständiger Beamter' dem Justizministerium. Wie der Name sagt, vollzieht er gerichtliche Urteile, Vergleiche und Titel. Oft geht es um die Zahlung von Geld oder die Herausgabe von Gegenständen, aber auch bei Zwangsräumungen muss er dabei sein. 'Pfändungen machen nur einen minimalen Anteil der Arbeit aus', sagt Nell. Vor allem, weil seit letztem Jahr neue Aufgaben dazu gekommen sind. Damals trat die zweite sogenannte 'Zwangsvollstreckungsnovelle' in Kraft. Die legt fest, dass Gerichtsvollzieher nun auch die eidesstattliche Versicherung oder Offenbarungseid abnehmen dürfen; früher eine Aufgabe der Richter und Rechtspfleger.
Beim Offenbarungseid legt der Schuldner unter Eid sein Vermögen dar. Für Nell und seine Kollegen bedeutet das einerseits eine höhere Arbeitsbelastung mit mehr Schreib- und Büroarbeit sowie vielen 'Neukunden': 'Manchmal geht es bei uns zu wie in einer gut gehenden Arztpraxis.' Dennoch entstehe keiner der Parteien ein Nachteil, lägen die Bearbeitungszeiten nach wie vor bei zwei bis drei Wochen.
Nell findet die Regelung gut, da sie das Verfahren vereinfacht und somit dem Gläubiger hilft. Dabei nimmt der 50-Jährige eine Vermittlerrolle ein, ist bemüht, für beide Seiten eine gute Lösung zu finden. Zum einen muss er dem Gläubiger zu seinem Recht verhelfen, zum anderen will er 'dem Schuldner aber nicht das letzte Hemd ausziehen.'
Wann tritt der Gerichtsvollzieher überhaupt in Aktion? Nell lacht: 'Wenn ich einen Auftrag bekomme.' Nachdem ein Gläubiger Ansprüche bei Gericht angemeldet hat, erhält der Schuldner zunächst einen Mahnbescheid, schließlich ergeht ein gerichtlicher Vollstreckungsbescheid dann erst darf der Gerichtsvollzieher eingreifen. Die Summe, die eingefordert wird, ist nicht festgelegt. Grundsätzlich wird versucht, Kosten zu vermeiden, erklärt Nell. 'Doch kommt es manchmal vor, dass wir wegen eines nicht bezahlten Strafzettels von 30 Mark einschreiten müssen.'
Das Schuldnerklientel hat sich in den letzten Jahren gewandelt, hat Nell bemerkt, der seinen Beruf seit 25 Jahren ausübt. 'Das reicht vom Sozialhilfeempfänger bis zum Arzt.' Ein gesellschaftliches Problem, findet der Kaufbeurer. Viele könnten den Verlockungen des Warenangebots nicht widerstehen und geraten 'aus eigener Dummheit' in die Schuldenspirale. 'Man will ja mithalten und sich keine Blöße geben. Und bevor auf den Urlaub verzichtet wird, bleibt lieber einmal eine Rechnung liegen.' Ein weiterer Grund sei natürlich die Arbeitslosigkeit.
Hochzeitsauto in Beschlag
Wenn dann die Miete nicht mehr bezahlt werden kann, kommt es zu Situationen, in denen Heinz Nell Bauchschmerzen bekommt: 'Zwangsräumungen sind wirklich unangenehm. Vor allem, wenn Kinder davon betroffen sind.' Doch finden sich auch wirkliche Höhepunkte in seinem Berufsleben. So erinnert er sich an den Fall, als er bei einer Trauung das Hochzeitsauto beschlagnahmen musste eine Luxus-Limousine, die geleast war. 'Aber wir haben den Fall cool gelöst.' Nell passte den Bräutigam vor der Kirche ab, klärte die Situation und der Mann konnte ein Ersatzauto besorgen, ohne dass die Gäste etwas merkten. Die Hochzeit ging glatt über die Bühne. 'Am nächsten Tag rief der Bräutigam an und hat sich bei mir bedankt.'Hinter den Türen des Amtsgerichts (9)