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Davon hat hier jeder gewusst

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    Von Markus Bär Kaufbeuren - Bereits in Wien, Rom oder Hamburg war die Ausstellung 'In memoriam', erstellt von Dr. Michael von Cranach (Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren), zu sehen. Nun wird sie bis zum 2. Juli im Stadtsaal auch dem Kaufbeurer Publikum gezeigt. Sie bietet Informationen, Dokumente und Bilder über die Ermordungen von über 2000 Menschen in Kaufbeuren und Irsee, von denen 'jeder hier seinerzeit gewusst hat', wie von Cranach betonte. Das belegten Dokumente. Und ein ganz besonderer Gast nahm an der Ausstellungseröffnung teil: Die hochbetagte Dr. Alice von Platen-Ricciardi, die als Sachverständige an den Nürnberger Prozessen gegen Mörder des NS-Regimes teilgenommen hatte. Die Psychiaterin von Platen, 1910 geboren und dem norddeutschen Adel entstammend, hatte damals im Auftrag der westdeutschen Ärztekammer gemeinsam mit Alexander Mitscherlich und Fred Mielke als Gutachterin an den Nürnberger Prozessen teilgenommen. 'Wir saßen sechs Monate in diesem verdunkelten Saal und hörten Grausames', so die 96-Jährige. 'Die Stumpfheit der Angeklagten war unglaublich. Sie zeigten bis zum Schluss keine Reue. Die Ärzte waren nicht mehr beauftragt, den Einzelnen zu kurieren, sondern der Volkskörper sollte gezüchtet werden', erläutert die Italienerin. Sie habe aber nun jüngst in Kaufbeuren sehr Ermutigendes gesehen: 'Hier wird die Erinnerung gepflegt und es gibt ein schönes und wichtiges Denkmal, das an die Verbrechen in Kaufbeuren erinnert', sagte sie mit Hinweis unter anderem auf das Mahnmal auf dem BKH-Gelände.'Es ist unglaublich, dass Dr. Valentin Faltlhauser, der in den 20er Jahren als großer Reformer in der Psychiatrie galt und noch 1933 vehement gegen die Euthanasie geschrieben hat, später dazu kommt, die Tötungsaktionen in Kaufbeuren zu leiten und zu fördern', verwies von Cranach auf seinen 'Vor-Vorgänger'. Faltlhauser war in der Nazizeit der Ärztliche Direktor der Heil- und Pflegeanstalt und hatte sogar eigens eine Diät entwickelt, mit dem 'lebensunwertes Leben' binnen weniger Monate getötet wurde.

    Gegen den Zeitgeist Als von Cranach 1980 im BKH begann, habe niemand über die Nazizeit gesprochen. Nach und nach hätten er und andere Mitarbeiter begonnen, die schreckliche Geschichte aufzuarbeiten. Dr. Ernst Mader, der in den 80er Jahren das Buch 'Das erzwungene Sterben von Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee zwischen 1940 und 1945' veröffentlichte, dankte Cranach noch einmal dafür, dass er die BKH-Archive für seine Forschungsarbeiten geöffnet habe. Mader betonte, dass in den 80er Jahren der Zeitgeist gegen solche Arbeiten gestanden habe und zitierte einen Brief vom damaligen Bezirkstagspräsidenten Dr. Georg Simnacher, in dem dieser Mader wegen seines Vorgehens kritisiert hatte. Zeitgleich mit der Ausstellung 'In memoriam' ist auch die Ausstellung '70 Jahre Gesundheitsämter in Bayern' zu sehen. Dr. Johannes Donhauser, der die Wanderausstellung konzipiert hat, wies darauf hin, dass die Gesundheitsämter 1935 von den Nazis ins Leben gerufen wurden, damit ihnen unter anderem missgebildete Kinder gemeldet werden konnten. In diesem Zusammenhang betonte BKH-Oberarzt Dr. Martin Schmidt, dass auch inzwischen wieder euthanasieähnliche Prozesse vonstatten gingen: 'In Holland ist die drittgrößte Todesursache heute Euthanasie.' Wieder seien Ärzte beteiligt, wieder Ältere und Schwächere betroffen, und die Gesellschaft schweige. Kaufbeurens Oberbürgermeister Stefan Bosse bedankte sich eingangs namens der Stadt für das Wirken Michael von Cranachs, der Ende August in den Ruhestand geht. i Die beiden Ausstellungen 'In memoriam' und '70 Jahre Gesundheitsämter in Bayern' sind noch bis zum 2. Juli im Kaufbeurer Stadtsaal (1. Stock) zu sehen (montags bis freitags von 13 bis 18 Uhr, am Wochenende von 10 bis 16 Uhr. Am 23., 26. und 30. Juni ist die Ausstellung wegen anderer Veranstaltungen geschlossen.

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