Artikel: Das Urteil ist ein echtes Schnäppchen

29. Dezember 2002 20:30 Uhr von Allgäuer Zeitung

Jugendliche nicht wegen Raubes sondern Diebstahls verurteilt

Kaufbeuren/Füssen (bbm). - Sie wurden auf frischer Tat ertappt, als sie im Februar dieses Jahres in einem Lebensmittelgeschäft im Raum Füssen eine Stange Zigaretten mitgehen lassen wollten. Weil sich nun vor dem Kaufbeurer Jugendschöffengericht herausstellte, dass es den beiden jugendlichen Angeklagten (16 und 17) beim anschließenden Gerangel mit dem betagten Ladenbesitzer (81) wohl nicht darum ging, sich gewaltsam die Beute zu sichern, erfolgte die Verurteilung nicht - wie ursprünglich angeklagt - wegen Raubes, sondern wegen gemeinschaftlichen Diebstahls. Beide Angeklagte wurden verwarnt und müssen als Auflage 50 beziehungsweise 80 Stunden soziale Arbeit ableisten. Der ältere der beiden Jugendlichen muss zusätzlich noch 150 Euro Geldbuße bezahlen. Bei ihm kamen im Urteil noch zwei Diebstähle in einer Füssener Kneipe dazu, wo er einen elektronischen Organizer und einen Geldbeutel hatte mitgehen lassen. Nach Überzeugung des Richters war das Urteil für beide Angeklagte 'ein echtes Schnäppchen'. Die Jugendlichen sahen dies offenbar ähnlich und akzeptierten die Entscheidung sofort. Nachdem auch der Staatsanwalt seine Zustimmung gab, ist das Urteil rechtskräftig. Dass auch der Anklagevertreter im Plädoyer nicht mehr von einem Raub ausging, war hauptsächlich auf die Aussage des Geschäftsinhabers zurückzuführen: Der 81-Jährige hatte vor Gericht zwar ein Gerangel, aber kein gewaltsames Vorgehen der Angeklagten geschildert. Die beiden hatten sich schon vor der Tat eine Weile im Geschäft herumgedrückt und in einem vermeintlich unbeobachteten Moment nach den Zigaretten gegriffen.

Als der 17-Jährige kurz darauf mit einer Papiertüte im Kassenbereich erschien, sprach ihn der Ladenbesitzer an. 'Er weigerte sich, mich in die Tüte schauen zu lassen, und presste sie an sich', erinnerte sich der Zeuge. Er habe daraufhin die Tüte aufgerissen und die Stange Zigaretten gesehen. Der Ladenbesitzer zog das Diebesgut heraus, der 17-Jährige ergriff die Flucht. Der 81-Jährige versuchte anschließend, ebenfalls vergeblich, den zweiten Angeklagten aufzuhalten. Dass der 16-Jährige dabei eine herbeigeeilte Aushilfskraft mit einem ausländerfeindlichen Spruch übel beleidigte, gab er jetzt vor dem Jugendschöffengericht zu. Weil die Beleidigung in der Anklageschrift jedoch seinem Freund zur Last gelegt wurde und bei dem 16-Jährigen gar nicht angeklagt war, blieb sie nun ohne strafrechtliche Konsequenzen. Dass der jüngere der beiden Angeklagten aber wohl demnächst an anderer Stelle von der Justiz noch 'gut versorgt werden wird', hatte der Richter im Urteil anklingen lassen. Den 16-Jährigen erwartet nämlich wegen Beteiligung an sieben Einbrüchen noch ein Verfahren vor dem Landgericht. Vor dem Jugendschöffengericht waren jetzt beide Angeklagten einsichtig. Auch der Vertreter der Jugendgerichtshilfe hatte nach mehreren Gesprächen mit den Jugendlichen einen positiven Eindruck. Dies stellte auch der Vorsitzende im Urteil in Rechnung, machte aber gleichzeitig deutlich, welche Konsequenzen erneute Straftaten haben . Vor allem dem 16-Jährigen müsse klar sein, dass er bei einem weiteren Delikt 'ziemlich schnell in U-Haft gehen könnte.'