Von Michael Dumler Lauben - Wahnsinn, was für ein 'Traumjob' - Tauchen im Faulbehälter einer Kläranlage. 'Dazu muss man geboren sein', sagt Michael Lorenzen und grinst übers ganz Gesicht. Muss man wohl. Denn wer zwängt sich schon freiwillig in einen Tiefseetaucher-Anzug und steigt dann in einen 36 Meter hohen Turm, der randvoll ist mit einer für Laien undefinierbaren dunkelbraun- bis schwarzen, rund 38 Grad warmen Brühe und fischt dann in absoluter Dunkelheit nach so genannten Verzopfungen aus Resten von Haaren, Binden, Kondomen und schwer verrottbarem Material?Da muss man wohl ein Taucher mit Leib und Seele sein, wie Lorenzen. 'Ich war zwölf Jahre lang Minentaucher bei der Marine in der Nord- und Ostsee', erzählt der 36-Jährige aus Husum. Aha. Noch so ein 'Traumjob'. 'Nicht so schlimm, wie manche denken', kontert Lorenzen und grinst schon wieder. Nein, es ist keine Extrem-Übung für Profi-Taucher, die da derzeit im Gruppenklärwerk in Lauben stattfindet. 'Im vergangenen Jahr wurde bei einem Kontrolltauchgang festgestellt, dass sich in den 20 Jahre alten Faulbehältern erhebliche Verzopfungen und Sandablagerungen gebildet haben', erklärt Gruppenklärwerksleiter Rudolf Bader. Zudem gelte es dort Rohrleitungen und die Außenwände zu überprüfen. Mit einer 160 Kilogramm schweren Spezialpumpe saugen die Taucher nun die unerwünschten Stoffe ein. Über einen Schlauch erhalten sie von außen gereinigte Pressluft als Sauerstoff-Ersatz. Bei großflächigen Unrat-Decken muss Lorenzen schon mal zur 'Hochdrucklanze' (Leistung: 500 Bar) greifen, um das Ganze zu zerkleinern. 'Ganz unten fühlt man sich wie eine Fliege im heißen Teer', sagt er. Klingt irgendwie verlockend. Rund 150 000 Euro kostet die Sanierungs- und Reinigungsaktion, an der insgesamt drei Taucher und zwei so genannte Signalmänner beteiligt sind. Sie stehen mit den Tauchern in Funkkontakt und müssen bei Notfällen die Rettung einleiten. Lorenzen: 'Ohne sie ist man hilflos, auf sie muss man sich hundertprozentig verlassen.' 50 Minuten lang arbeitet er jeweils im Faulbehälter. Dann geht’s wieder an die frische Luft. Das dauert aber. wegen des Druckausgleichs ganze 70 Minuten lang. Und das für etwa 30 Höhenmeter.
Fingerspitzengefühl gefragt Wie findet man sich denn in dieser Brühe zurecht, man sieht doch nichts? 'Des Tauchers Augen sind seine Hände', meint Lorenzen. Zudem studiere man vor dem Tauchgang eingehend die Innenstruktur des Faulbehälters. 'Trotzdem: Klaustrophobie darf man in diesem Beruf nicht haben', betont Lorenzens Chef, Siegfried Richter. Der ehemalige Kampfschwimmer war auf Bohrinseln rund um den Globus im Einsatz, ehe er seine Firma Mitte der 90er Jahre auf das Reinigen von Faulbehältern spezialisierte. 'Wir haben am Anfang auch Lehrgeld bezahlt', sagt er. Er selbst sei einmal am Boden eines Faulbehälters durch eine meterhohe Schlamm- und Sanddecke eingebrochen und verschüttet worden. Er habe sich aber selber wieder befreien können. 'Wir können nur ruhige Taucher gebrauchen, das ist nichts für Rambo-Typen', gibt Richter zu verstehen.Übrigens: Wer meint, dass die Taucher in einer Kloake herumschwimmen irrt. 'Die Abwasserreinigung passiert schon vorher. Die Schmutzstoffe werden durch biologisch-mechanische Prozesse entfernt', so Georg Klein, stellvertretender Betriebsleiter. In den Faulbehältern werde der anfallende Klärschlamm 30 Tage lang weiter reduziert. Fäulnisbakterien erzeugen dabei unter Luftabschluss ein brennbares Klärgas, das als Energiequelle genutzt wird. Die Stromerzeugung aus Klärgas deckt rund 60 Prozent des Eigenbedarfs des Gruppenklärwerks. Warum eigentlich nicht die Faulbehälter einfach ablassen und dann ohne Taucher in Ruhe die Wartungsarbeiten vornehmen? 'Wir haben keine Ausweichkapazitäten, um den Klärschlamm weiter zu behandeln', erklärt Betriebsleiter Bader. Die nur schwer durchführbare Entleerung wäre obendrein wesentlich teurer (220 000 Euro).'Da weiß ich ja mal, was ich machen werde, wenn ich keine Lust mehr habe, Rathauschef zu sein', witzelte Kemptens Oberbürgermeister und Vorsitzender des Abwasserzweckverbands Kempten, Dr. Ulrich Netzer, beim Pressetermin hoch droben auf dem Faulturm, als Lorenzens Kollege Till Schweikert in die dunkelbraune Brühe hinabtaucht. Wir notieren uns das und erinnern ihn später einmal daran.