Von Reinhold Löchle Ebenhofen/New York - Kessheit gepaart mit Neugier: Vielleicht trifft diese Kombination von Wesensmerkmalen am ehesten das, was für Jens Jessen den viel zitierten amerikanischen Traum in Erfüllung gehen lässt. Der Ebenhofener selbst sieht das Ganze als 'Geschenk'. Der junge Mann, der erst im Juli sein Architekturstudium abgeschlossen hat und am Sonntag seinen 26. Geburtstag feiert, hat einen Job in New York bekommen. Und zwar bei Daniel Libeskind, einem der berühmtesten Architekten der Gegenwart. Dieser baute in Deutschland unter anderem das Jüdische Museum in Berlin. Weltweit für Schlagzeilen sorgte der 60-Jährige mit seinem Sieg beim Wettbewerb für das neue World Trade Center ('Freedom Tower'), das die von Terroristen zerstörten Twin Towers ersetzen soll. Als Jens Jessen im Jahr 2002 mehr oder weniger zufällig in seinem Geburtsort Oldenburg sein Studium aufnahm, blieb er trotzdem dem Allgäu treu. Schließlich wohnt in Ebenhofen seine Mutter Maria und seine Freundin Isabell Stamm stammt aus Biessenhofen. Er war vier Jahre, als seine Eltern ins Ostallgäu zogen. Seine Mutter, eine Allgäuerin, und sein 1998 verstorbener Vater arbeiteten damals für Fendt und hatten sich in Oldenburg kennengelernt. 'Ich hab noch einen Spielerpass beim FC Ebenhofen', erzählt der frühere Verteidiger und große Fußballfan verschmitzt und verrät auch, dass er noch heute dann und wann nach den Holzhäusern schaue, die er nach seinem Abitur am Gymnasium Marktoberdorf während seiner Zimmererlehre bei der Firma Möst (Nesselwang) errichten half. Zunächst etwas Handwerkliches, dann das mehr Kreative: Diese Ziele verfolgte er nach der Schule und setzte sie auch um. Gleich nach seiner Zimmererlehre begann er, an der Fachhochschule Oldenburg zu studieren. Als Student bemühte er sich dann mit Erfolg um ein Praktikum beim renommierten Architekturbüro Site in New York. Und traf dort den berühmten Architekten Daniel Libeskind. Als dieser in Manhattan sein Buch über das World Trade Center vorstellte, ging Praktikant Jens Jessen hin, ließ sich ein Exemplar signieren und wechselte mit dem Autor einige Worte. Wenige Tage später, als an seiner Praktikantenstelle gerade wenig zu tun war, steuerte er kurzentschlossen und voller Neugier das Büro von Libeskind an: 'Ich wollte einfach mal sehen, wie die so arbeiten.' Doch bereits an der Pforte wurde er wieder heimgeschickt: ohne Termin keine Chance. Also probierte er telefonisch sein Glück und bekam Nina Libes-kind, die Frau des Architekten, an die Strippe. Und sie lud ihn in den 19. Stock eines Hochhauses in Lower Manhattan ein.
Was dann folgte, gibt's wahrscheinlich nur im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten. Nach kurzer Zeit habe ihn, so erinnert er sich und schaut dabei noch heute ungläubig drein, Nina Libeskind gefragt: 'Wann kannst Du anfangen?'. Fast hätte es da dem ansonsten so kommunikativen Ebenhofener die Sprache verschlagen. Was tun? - fragte er sich. Er sprach darüber mit seinem Chef an seiner Praktikumsstelle. Der wollte ihm nichts verbauen und wenig später setzte Jessen sein Praktikum bei Libeskind fort. Schon nach einer Woche dann die Nagelprobe für den Neuling: 'Nina kam mit einer Serviette daher, auf der Daniel eine Skizze gezeichnet hatte. Ich sollte sie als Modell nachbauen.' Was er auch tat und sich damit wohl Respekt verschaffte. Denn als er am Ende seines Praktikums behutsam anfragte, ob er vielleicht für ein zweites Praktikum wiederkommen dürfe, bedeutete ihm die Frau des Architekten: 'Mach Dein Studium zu Ende. Danach sind für Dich unsere Türen geöffnet.' Im Klartext: Das weltbekannte Architekturbüro wollte den Ostallgäuer fest als Mitarbeiter. Der Rest ist schnell erzählt: Jens Jessen flog einige Zeit später nochmals nach New York, erhielt dort von Libeskind ein Thema für seine Diplomarbeit. Die Aufgabenstellung: Der Ebenhofener sollte ihm einen Entwurf für einen in Denver geplanten Komplex aus Hotel und Luxuswohnungen fertigen. Für diese Diplomarbeit erhielt Jessen die Note 1. Derzeit macht er noch einige Tage Urlaub, am 11. Oktober geht‘s dann über den großen Teich an seinen Arbeitsplatz. 'Ich bin mir darüber im klaren, dass dies eine einmalige Chance ist', sagt Jessen. Im turbulenten New York wird er vielleicht dann und wann Sehnsucht nach dem beschaulichen Allgäu haben. Der Wunsch, seine Freundin Isabell wiederzusehen, geht schon bald in Erfüllung. Die Werbefachfrau, die ebenfalls in Oldenburg studiert, folgt ihm im Januar. Denn sie hat einen der gefragten Studienplätze an der New School in New York ergattert und wird dort Soziologie studieren. Ende 2007 läuft sein USA-Visum ab. Was danach kommt, darüber macht sich Jens Jessen noch keine Gedanken. Schließlich beginnt nun zunächst sein amerikanischer Traum…