Artikel: Brasilianerin erstmals auf Schlittschuhen

8. Januar 2003 20:29 Uhr von Allgäuer Zeitung

Ein ruhiger Mittwoch nachmittag bei acht Grad minus auf dem Lindenberger Kunsteis Lindenberg (ber). Roswitha Ruhm kniet vor ihrem Sohn Andreas und zieht ihm den rechten Winterstiefel aus. Vorsichtig schiebt sie den Fuß des Siebenjährigen in die Schlittschuhe. Linker Fuß, gleiche Prozedur. Die dunkle Wollmütze mit den bunten Bommeln bleibt auf dem Kopf, obendrauf kommt ein weißer Helm. 'Ein Helm ist schon besser, wenn er auf den Kopf fällt', sagt die Mutter aus Lindenberg. Zwillingsbruder Michael ist auch startklar, Vater Manfred Ruhm hat ihm beim Anziehen geholfen..

Vorsichtig bewegen sich die Mutter und ihre Zwillinge auf dem Lindenberger Kunsteis. Es sieht noch ein wenig unbeholfen aus. Seit einem Jahr waren sie nicht mehr beim Schlittschuhlaufen. Aus sicherer Entfernung betrachtet Manfred Ruhm seine Familie. Seine Schlittschuhe hat er zu Hause im Schrank gelassen, weil er heute noch einen dichten Terminplan hat. Nach ein paar Minuten eilt er davon, vorbei am Kassenhäuschen, in dem Angelika Felder sitzt. Die Kassenfrau verbringt heute einen ruhigen Nachmittag. Trotz blauem Himmel und Sonnenschein verlieren sich eine Viertelstunde nach Öffnung nur eine Handvoll Besucher auf dem Eis. Wenige leihen sich für drei Euro ein Paar Schlittschuhe bei ihr aus. Selbst eine Stunde später drehen höchstens 60 Läufer ihre Runden. 'Vielen ist es zu kalt heute', sagt sie verständnisvoll und schließt das Fenster in ihrem beheizten Häuschen, nachdem sie 2,50 Euro von einem Besucher kassiert hat. 1 000 Euro am Tag eingenommen Tage an denen Angelika Felder richtig viel Hektik hat, wenn sich eine lange Schlange bildet vor ihrer Kasse, sind ihr viel lieber. So wie in den Weihnachtsferien, als sie an einem Nachmittag knapp 1000 Euro eingenommen hat. 'Da war´s auch wärmer. Und es waren viel mehr Urlauber da.' An solchen Tagen muss sie aber auch Urlauber ertragen, die x-mal ihre geliehenen Schlittschuhe zurückbringen, weil sie immer wieder was auszusetzen haben. Rubens Cunha, seine Frau Stefanie und deren Nichte Priscilla haben sich auch welche geliehen. Das Ehepaar stammt aus Frankfurt, die Zehnjährige lebt in Brasilien und verbringt ihre Ferien in Deutschland. Im Westallgäu hat sie zum ersten Mal Schnee gesehen und vor Freude Purzelbäume geschlagen, wie ihre Tante erzählt. Nein, Angst vor dem glatten Untergrund habe sie nicht, übersetzt ihr Onkel aus dem Portugiesischen. 'Aber ich bleibe lieber in der Nähe der Bande.' Für den Urlaub wurde das Mädchen extra eingekleidet, mit Anorak, Skihose und dicken Handschuhen. Zuhause in Brasilien besitzt sie nicht mal einen Pullover. Sie ist ausschließlich Temperaturen um 30 Grad Celsius gewohnt und das Thermometer fällt nie unter 10 Grad, sagt ihr Onkel. Priscilla: 'Ich habe mich aber schnell an die Kälte gewöhnt.' Acht Grad minus herrschen heute. Für die Eisfläche, erklärt Eismeister Stefan Wipper, gerade richtig. Wenn die Temperatur über vier Grad minus steigt, muss er die Kältemaschine anwerfen. Andernfalls würde sich ein See bilden. Nicht mit Schuhen aufs Eis Wipper hat nicht nur das Thermometer im Blick, sondern auch die Zuschauer, die mit Straßenschuhen auf die Eisfläche gehen, etwa um dem Liebsten einen Kuss auf die Backe zu drücken oder einen Schnappschuss zu machen. Freundlich bittet er die Leute herunter und erklärt, dass das Streusalz an den Straßenschuhen das Eis zerfrisst. Währenddessen huscht Roswitha Ruhm mit ihren Zwilligen vorbei. Die Schritte werden immer größer. Und schneller.