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Bis ins Jahr 1984 produzierte Bayerns letzte Stockfabrik in der Marktgemeinde Unikate - Bach als Energiequelle

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Bis ins Jahr 1984 produzierte Bayerns letzte Stockfabrik in der Marktgemeinde Unikate - Bach als Energiequelle

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    Einst wurde Elfenbein nach Irsee geliefert Von Markus Frobenius Irsee 'Jakob Egle war ein guter und naturnaher Mensch - und etwas sonderbar. Er züchtete Bienen und hatte später auch Vögel. Wenn wir im Wald waren konnte er jede Art benennen', erinnert sich Rudolf Schneider aus Irsee. Der Wagner war 34 Jahre bei Egle angestellt - in der zuletzt einzigen Stockfabrik Bayerns. Fast 160 Jahre produzierte die Firma handgemachte Krücken, Spazier- und Zierstöcke. Etwa 1984 schloss Egle die Fabrik, da die Produkte inzwischen industriell gefertigt wurden. 'Das ist ein verlorenes Handwerk. Wir holten noch das Holz aus dem Wald und verarbeiteten es zu Stöcken', erzählt Schneider.

    Wahrscheinlich 1847 baute Josef Hartmannsberger in der heutigen Schmiedgasse 10 in Irsee ein Haus. Allerdings weisen andere Quellen darauf hin, dass dort schon um 1800 Gerber und später der Küfer Anton Rampp wohnten. Jedenfalls gründete Hartmannsberger an dem Ort eine Stockfabrik und bewarb sie: 'Regen- & Sonnenschirmstöcke für Herren-, Damen- und Kinderschirme unter Zusicherung reeller und billiger Bedienung'. Später übernahm der Drechslermeister Ulrich Zitt die Firma, ehe Johann Egle ab 1898 den Betrieb führte. Energie für die Maschinen bekam die Stockfabrik über den Irseer Bach: Neben der Säge oder der Brauerei war die Fabrik einer von angeblich sechs Nutzern des Baches zur Energiegewinnung. '40 Liter in der Sekunde fielen auf die Radschaufeln und eine Kraft von einem PS für sechs Maschinen wurde dadurch erzeugt. Ab und zu musste eine Maschine ausgeschaltet werden, wenn der Bach zu wenig Wasser führte', ließ sich Klaus Walter für das 'Ischer Blättle' vom letzten Firmeninhaber Jakob Egle erzählen. Angeblich wurde die Wasserkraft noch bis in die 1950er Jahre genutzt.

    Der Erste Weltkrieg brachte für die Produktpalette des Betriebes die erste Zäsur: Nunmehr wurden auch Granatenzünderklötze, Munitionskisten, Peitschenstöcke oder Wasserhähne aus Holz hergestellt. 1932 brachte die Stockfabrik die 'Fritz-Krücke' auf den Markt. Namensgeber war der alte Fritz - ein angeblich großer Stöcke-Liebhaber, so Walter. Ausgerechnet die Nationalsozialisten brachten der Stockfabrik einen Aufschwung: Durch den Zweiten Weltkrieg wurden 'Fritz-Krücken' des Öfteren gebraucht. Schon seit seiner Kindheit arbeitete Jakob Egle in der väterlichen Firma, die er auch übernahm. In den 1950er Jahren, als Schneider eingestellt wurde, hatte die Fabrik acht Mitarbeiter und viele Kunden. 'Wir haben bis nach Afrika geliefert', weiß er. Egle ging mit seinen Angestellten in den Wald und holte dort das Holz für die Produktion. Danach wurde es gelagert, gesägt, gebogen, gehobelt und geschliffen. Egles Frau lackierte eine Zeit lang die Stöcke oder Griffe. Natürlich reparierten die Wagner und Drechsler auch Stöcke: 3,50 Mark kostete 1961 ein gedrehter und mit Beschlägen verzierter Doppelhandgriff für eine Heusonde, wie eine vom Chef eigenhändig unterschriebene Rechnung zeigt. Zu den großen Kunden der Firma gehörte auch die Beschaffungsstelle für orthopädische Gehhilfen in München. Doch mit der industriellen Herstellung der Stöcke und Krücken wurde die Produktion weniger: 'Das Geschäft ging immer mehr zurück', so Schneider, der zuletzt als einziger Angestellte der Firma verblieb.

    Zirkusstöcke aus Büffelhorn

    Für Egle war die Fabrik ein Teil seines Lebens. Er sammelte Stöcke, besuchte Ausstellungen und verlegte sich auf Spezialitäten. 'Zuletzt hatte er nur noch ein kleines Sortiment. Er stellte Zirkus- oder Dandystöcke aus Elfenbein, Büffelhorn oder Walfischknochen her', erinnert sich Franz Abfalter aus Irsee. Er drechselte sich in der Fabrik Flaschenöffner für den eigenen Gebrauch. Etwa zwei Jahre vor seinem Tod schloss Egle die Firma und verkaufte die Maschinen, von denen Schneider einige erwarb, um sich Rundstäbe herzustellen.

    Egles Kinder kommen heuer noch nach Irsee. 'Sie verbringen ihren Urlaub hier in der Gemeinde', so Hans Sauer, der selbst noch geschäftlich mit dem Firmenchef zu tun hatte. Egle ist auf dem Friedhof im oberen Dorf begraben. Unterhalb dessen tritt der Irseer Bach aus dem Berg und fließt nach der Säge auch an der Schmiedgasse 10 vorbei, in der heute nichts mehr an die einst letzte bayerische Stockfabrik erinnert.

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