Wer stahl Medikamente im Heim? Freispruch für Nachtschwester - Zweifelsfreier Tatnachweis nicht zu belegen Westallgäu/Lindau (enz.). Der Staatsanwalt tat sich sichtlich schwer, Freispruch für eine des Medikamentendiebstahls angeklagte Altenpflegerin zu beantragen: 'Ich bin keineswegs davon überzeugt, dass die Angeklagte unschuldig ist. Was trotz gravierender Verdachtsmomente fehlt, ist ein zweifelsfreier Tatnachweis.' Letzteres veranlasste Richter Thomas Walther, die Frau freizusprechen und die Kosten der Staatskasse aufzubürden. Laut Anklage sollte die gelernte Krankenschwester während ihrer Nachtschichten aus dem Medikamentenschrank eines Alten- und Pflegeheims zahlreiche Schmerzmittel und Psychopharmaka entwendet haben. 'Da sind Hammermedikamente dabei', befand der Richter nach Blick auf die Verlustliste und nannte als Beispiel ein Medikament zur Behandlung von Schizophrenie. 'Homöopathische Schnupfenmittel befinden sich nicht darunter', so Walther. Seine Frage, was sie zu den Vorwürfen sagen wolle, beschied die Angeklagte kurz und bündig: 'Ich mache keine Angaben.'Der Staatsanwalt bekrittelte die Funkstille auf der Anklagebank: 'Ihr Schweigen mutet schon komisch an, hier stinkt einiges.' Der Verteidiger schnüffelte vergeblich: 'Hier im Gerichtssaal stinkt es nicht.' Seine Mandantin habe ein sauberes Gewissen und müsse aus tatsächlichen Gründen freigesprochen werden und nicht - wie der Staatsanwalt einschränke - 'im Zweifel für die Angeklagte'. Im Übrigen erinnere er an die im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs von der Heimleitung abgegebene Erklärung, keinen Wert mehr auf eine aus Sicht seiner Mandantin ungerechtfertigte Strafverfolgung zu legen. Zuvor hatte der Geschäftsführer des Pflegeheims beschrieben, wie der Diebstahl ans Licht gekommen ist.
Der erste Fingerzeig sei von Ärzten gekommen, die sich bei Bestellungen darüber gewundert hätten, dass die kurz zuvor für Heimbewohner verschriebenen Medikamente bereits verbraucht sein sollten. 'Schließlich haben wir eine hausinterne Überwachung angeordnet, um herauszufinden, wo und wann die Medikamente abhanden kommen', berichtete der Zeuge. Letztlich seien nach wochenlangen Kontrollen in drei Nächten Fehlbestände im Anschluss an die Nachtdienste der jetzt Angeklagten festgestellt worden. Und zwar im Medikamentenschrank des nächtlichen Dienstzimmers. Eine bestürzende Erkenntnis, weil die seit fünf Jahren im Heim beschäftigte Schwester als eine zuverlässige Kraft ohne Fehl und Tadel geschätzt worden sei. Eine polizeiliche Durchsuchung in der Wohnung der Verdächtigten, so ergab die gerichtliche Beweisaufnahme, verlief ergebnislos: Die dort gefundenen Arzneien waren nicht identisch mit den gestohlenen Medikamenten. Was die Angeklagte zudem entlastete, war die nicht auszuschließende Möglichkeit, dass jemand anderes während ihrer Abwesenheit in den Medikamentenschrank gegriffen hat. Und zwar zu Momenten, in denen die Schwester nach Notläuten von Patienten ihr Dienstzimmer verlassen musste und in der Eile das Abschließen vergessen haben könnte. Währenddessen, so kombinierte der Richter, wäre nicht nur der Raum frei zugänglich, sondern womöglich auch noch der Medikamentenschrank unverschlossen gewesen. Der Dienst tuenden Schwester obliege nämlich die Pflicht, während der Nacht neben etlichen sich auf mehrere Etagen erstreckenden Hilfseinsätzen auch noch die morgendlichen Medikamente für jeden Heimbewohner vorzubereiten. In Anbetracht von 125 zu betreuenden Personen könne eine Krankenschwester, der nächtens nur ein Hilfspfleger zur Seite stehe, schon ins Rotieren geraten. Mehrere Schlüssel vorhanden Was den Freispruch mitbegründete, war das Vorhandensein mehrerer Schlüssel zum Medikamentenschrank. Ein Generalschlüssel, so hieß es, befinde sich in Obhut der Verwaltung, einen weiteren Schlüssel besitze die Pflegedienstleitung, ein dritter werde von Schicht zu Schicht weitergeben. Womöglich existiere noch ein vierter Schlüssel. Letztlich musste das Gericht auch noch die nächtliche Anwesenheit eines Hilfspflegers berücksichtigen, gegen den die Staatsanwaltschaft zunächst ebenfalls ermittelt und dann das Verfahren eingestellt hat.