Interview Regisseur Peter Kesten und Ausstatterin Anne Sevenich setzen Henrik Ibsens Emanzipations-Klassiker "Nora oder ein Puppenheim" im Stadttheater modern in Szene">

Artikel: Auf der Bühne steht keine naive Frau

4. November 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
ralf lienert

Interview Regisseur Peter Kesten und Ausstatterin Anne Sevenich setzen Henrik Ibsens Emanzipations-Klassiker "Nora oder ein Puppenheim" im Stadttheater modern in Szene

KemptenAm Freitagabend wartet das Landestheater Schwaben (LTS) mit seiner ersten Premiere der neuen Spielzeit in Kempten auf. Henrik Ibsens "Nora oder ein Puppenheim" steht auf dem Programm - ein Stück, das im Uraufführungsjahr 1879 für einen Skandal sorgte, weil eine Frau ihren Mann und drei Kinder verlässt. Das LTS unter der Regie von Peter Kesten verlegt die Handlung mit einer modernen Übersetzung in die heutige Zeit. Mit dem Regisseur und der Ausstatterin Anne Sevenich sprach unsere Mitarbeiterin Jana Schindler.

Herr Kesten, ist "Nora" für Sie ein Emanzipationsstück?

Kesten: Es ist ein Stück, das Rollen-bilder und das Zusammenleben untersucht. Es ist insofern natürlich ein Emanzipationsstück, weil es sich dafür einsetzt, dass eine Gleichberechtigung stattfindet.

Die Rolle der Frau hat sich ja seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verändert. Worin besteht heute der Konflikt, den das Ehepaar austrägt?

Kesten: Er hat sich vielleicht in der Krassheit der Zuweisung geändert, aber vollkommen aufgelöst ist er ja nach wie vor nicht.

Feste Aufgaben-bereiche Mann-Frau sind zumindest in der Mehrheit der Haushalte immer noch gang und gäbe, auch wenn man oft von einer vollkommenen Auflösung der Rollenbilder spricht. Aber auch jenseits der klassischen Aufteilung, die in dem Ibsen-Stück vorgesehen war, ist es trotzdem so, dass man eigentlich fast immer, wenn man sich in eine Beziehung gibt, sehr schnell anfängt, sich in festgelegte Verhältnisse zu begeben und bestimmte Verhaltensweisen anzunehmen, die oft ein großes Ungleichgewicht schaffen.

Nora, ist vielleicht die klassischste aller Bühnen-Ehefrauen. Was für eine Nora wird die Schauspielerin Undine Schmiedl sein?

Kesten: Sie wird eine sehr sehr heutige Nora sein. In der Art, wie sie sich äußert, wie sie sich verhält, wie sie sich körperlich gibt auf der Bühne. Auch, wie sie das selber reflektiert, was sie da tut. So vollkommen naiv wie bei Ibsen, ist unsere nicht. Sie ist sich sehr oft bewusst, was sie tut, und auch wenn ihr etwas getan wird. Nichtsdestotrotz akzeptiert sie diesen Umstand und nutzt ihn auch für sich und begibt sich oft in so ein Kindchen-Schema.

Frau Sevenich, wie dürfen wir uns das Puppenheim auf der Bühne im Stadttheater vorstellen?

Sevenich: Das Puppenheim haben wir gerade nicht bedienen wollen. Wir haben all den Zuckerguss der Originalfassung rausgelassen und einen unterkühlten Sichtbeton-Raum als Wohnraum auf die Bühne gestellt. Das Einzige, was an den ursprünglichen Ibsen erinnert, ist ein monströser Weihnachtsbaum, der aber bewusst aus Plastik ist.

Warum?

Sevenich: Es ist der Wunsch, Heime-ligkeit und Gemütlichkeit in die Wohnstube zu bringen. Aber es ist eben alles nicht ganz echt. Alles eine große Lüge.

Die ganz Beziehung!?

Sevenich: Die Beziehung und wie sich die beiden arrangieren.

Herr Kesten, macht es einen Unterschied, im LTS-Domizil in Memmingen zu proben oder hier in Kempten?

Kesten: Theaterarbeit ist immer eine sehr atmosphärische Arbeit. Mit dem eigenen Haus, in dem man sonst immer probt, ist man sehr vertraut, man weiß um einzelne Wirkungen. Wenn es an einen anderen Ort geht, kommt Ungewissheit dazu bei den faktischen Dingen. Die Bühne ist in Kempten ein Stück größer und in den Zuschauerraum passen ein paar mehr Leute rein. Man fühlt sich nicht hundertprozentig vertraut. Das beschäftigt uns im Moment, aber in einer Woche, zur Premiere, wird das schon wieder anders sein.