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Artikel: Auf den Korb gekommen

2. September 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
matthias becker

Handwerk Hans Reichart (72) aus Aizenreute bei Scheidegg verarbeitet seit 60 Jahren Weidenäste - Nachfrage ist groß

Von Sabrina Müller |ScheideggDer Arbeitsplatz von Hans Reichart wirkt spartanisch. Sein Rücken lehnt an der hölzernen Schuppenwand. Weich gepolstert hockt der 72-Jährige auf einem Holzschemel, auf dem drei Decken liegen. Zu seiner Rechten - immer in Reichweite - finden sich Werkzeuge wie Zangen, Messer, Schlageisen und Schere. Vor sich hat Reichart die ersten Flechtreihen eines Korbes, Weidenäste ragen in alle Richtungen.

Werbung braucht der Korbflechter aus Aizenreute bei Scheidegg nach eigener Aussage keine. Spätestens seit dem Moment, als vor rund 14 Jahren ein Artikel über den agilen Handwerker in der Heimatzeitung erschien, "wars vorbei mit meiner Freizeit", sagt Reichart. Aufträge aus dem Westallgäu, aber auch aus Kempten, Ravensburg und Memmingen, haben ihn so manche Stunde am Arbeitsplatz im Schuppen gekostet. "Ich könnt Tag und Nacht schaffen und zusätzlich noch einen einstellen", sagt Reichart, der an sechs Tagen in der Woche rund zwölf Stunden täglich vor den Körben sitzt.

Das viele Arbeiten zahlt sich aus und so stehen seine Brotkörbe mittlerweile in Italien auf dem Frühstückstisch, seine Holzkörbe in England, der Schweiz oder Österreich vor dem Kamin. "Unglaublich", so sein kurzer Kommentar dazu. Nicht zuletzt haben die Feriengäste auf dem eigenen Hof dazu beigetragen, dass es die Aizenreute Körbe in die weite Welt geschafft haben.

Als zwölfjähriger Bub hat Reichart mit dem Korbflechten begonnen. Seine ersten Werke nach vier Tagen Lehrzeit bei seinem Onkel "waren grad so, dass man was reintun konnte - von der Form her nichts besonderes." Wie viele Körbe er seither gemacht hat, kann er nicht sagen. Als Berufstätiger - unter anderem als Steinmetz, Waldarbeiter und Dachdecker - sind die Körbe dann für viele Jahre in den Hintergrund getreten.

Heute produziert er 300 bis 350 im Jahr und an Aufhören ist nicht zu denken. "Wenn es nach den Kunden geht, dann sitz ich in 50 Jahren noch hier."

Sieben Stunden braucht Reichart für das Flechten eines Korbes, der 40 Zentimeter hoch ist und einen Durchmesser von 50 Zentimetern hat. Aber damit allein ist es nicht getan: Etwa ein Drittel seiner Materialien holt er aus dem Ort und der ganz Nahen Umgebung, den Rest sucht er sich im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern zusammen.

Nachdem die Weidenäste gesammelt sind, müssen sie trocknen - "je länger, desto besser die Qualität". Bis zu zwei Jahre kann es dauern, bis sie zur Weiterverarbeitung zunächst für bis zu fünf Wochen in Wasser gelegt werden. So werden sie elastisch. Alle Äste eines Korbes müssen in etwa gleich lang und stark sein, sodass allein für die Auslese mindestens eine weitere Arbeitsstunde pro Korb anfällt.

Je nach Größe und Kundenwünschen kosten die Körbe zwischen sechs und 50 Euro - viel zu wenig, wie es ein anderer Korbflechter einmal auf einem Markt zu ihm gesagt hat. Viele sind mit der Qualität sehr zufrieden und geben laut Reichart ein extra Trinkgeld. "Sie sehen, welche Arbeit dahinter steckt." Andere wollen handeln, weil es ihnen zu viel Geld ist - "aber darauf lass ich mich nicht ein".

Im Winter geht Reichart die Korbproduktion etwas ruhiger an. Dann nimmt er sich Zeit für ein paar Stunden seines liebsten Hobbys: dem Skifahren. 20 schöne Skitage über die kalte Jahreszeit verteilt sind ihm lieber, als 14 Tage Wegfahren am Stück. "Im Urlaub war ich noch nie - und will ich auch nicht".

Denn am besten gefällt es Reichart letztlich doch auf seinem Holzschemel im Schuppen - "weil es da so schön ruhig ist".

Im Rahmen des Ferienprogramms der Kurverwaltung Scheidegg findet am Montag, 8. September, ein Ausflug zu Hans Reichart statt. Anmeldung unter Telefon (08381) 89555.