Weitnau | ell | Er strahlt Ruhe, Gelassenheit und Klarheit aus, der Mann, der seit nunmehr 100 Tagen die Geschicke Weitnaus in Händen hält. Dabei hat Alexander Streicher bereits eine Entscheidung herbeigeführt, die nur wenige Bürgermeister in ihrem Berufsleben fällen mussten: Der Gemeinderat verfügte eine Haushaltssperre. Bleibt da noch Spielraum für politische Gestaltung?
Offenbar schon. Denn der 50-jährige Neubürger Weitnaus - er wohnt seit 1. August nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt - hat bereits einiges angeschoben. Mit Hilfe eines Gemeinderats, der entgegen seiner Befürchtungen den Wahlkampf nicht weiterführt, sondern laut Streicher sachbezogen und fundiert arbeitet.
Das gute Gefühl, das er dort hat, begleitet ihn auch bei den öffentlichen Auftritten in Weitnau und seinen Ortsteilen. Mit Lebensgefährtin Elke Matthiesen in der Kutsche durch Kleinweiler-Hofen beim Jubiläum der Musikkapelle zu fahren - das war für das Paar eine neue Erfahrung. "Aber an der Reaktion der Menschen habe ich gemerkt, dass es den Bürgern gefällt." Ein Hans Dampf in allen Gassen will Streicher aber nicht werden.
Wenn man ihn einmal überall kennt, möchte er seine Repräsentationsaufgaben auf ein vernünftiges Maß reduzieren: "Es soll ja doch etwas Besonderes sein, wenn der Bürgermeister kommt."
Da konzentriert er sich lieber auf seine Arbeit. In diesen ersten Monaten seiner Amtszeit, so räumt er ein, sei er mehr zum Reagieren als zum Agieren gezwungen gewesen: die Finanzsituation, die Kündigung des Loipenpflegers, die Kündigung der Betreiberin des Widdumstüberls, der marode Zustand des Freibads Seltmans - alles Probleme, die von außen auf ihn zukamen.

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Die strategische Ausrichtung soll dennoch nicht zu kurz kommen. Weit gediehen sind die Pläne, Weitnau von den fossilen Brennstoffen unabhängiger zu machen. Zwei Holzhackschnitzelwerke in Wengen und Weitnau sind geplant, um zum Beispiel die Kostensteigerung in Höhe von 50 Prozent für die Beheizung des "Adlers" zu reduzieren. Die Konzeption steht laut Streicher, die Realisierung innerhalb der nächsten sechs Monate ist vorgesehen. Von existenzieller Bedeutung ist für den Diplom-Verwaltungswirt, dass in der Weitnauer Schule der mittlere Bildungsabschluss erworben werden kann.
Die zweimalige Absage vom Kultusministerium will man nicht hinnehmen: "Wenn es gar nicht anders geht, denken wir auch an die Gründung einer Stiftung und organisieren das privat", lädt der im Wirtschaftsleben erfahrene 50-Jährige zum Nachdenken auch in ungewohnten Bahnen ein.
Schon bald soll mit Missen eine Tourismus-GmbH gegründet werden, hat er mit dem ebenfalls neuen Rathauschef der Nachbargemeinde, Hans-Ulrich von Laer, besprochen. Pauschalangebote bei Reiseveranstaltern seien dann leichter auszuhandeln, andere Gemeinde hätten so ihre Gästezahlen verdoppelt. Nach der Sommerpause geht der Gemeinderat in Klausur, knifflige Themen vom Freibad bis zu einer denkbaren Loipe von Buchenberg bis Hellengerst gibt es genug.