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Anfänger holen sich schon mal blutige Lippen

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Anfänger holen sich schon mal blutige Lippen

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    Steinbildhauer Alfred Hüttlinger aus Bad Oberdorf sammelt und spielt ein teuflisches Instrument: die Maultrommel Von Veronika Krull Bad Oberdorf Wenn ihm der Schädel so richtig brummt, ist Alfred Hüttlinger glücklich. Dabei ist der 58-jährige Steinbildhauer aus Bad Oberdorf keineswegs jemand, der gern tief ins Glas schaut. Aber er ist ein begeisterter Maultrommelspieler. Und das kleinste Musikinstrument der Welt, auch Brummeisen genannt, entfaltet seinen vollen Klang nur, wenn der menschliche Kopf zum Resonanzkörper wird. Hüttlinger, der als achtjähriger Bub auf einem Jahrmarkt erstmals eine Maultrommel spielen hörte und seitdem von dem unscheinbaren Instrument nicht mehr los kam, ist aber nicht nur ein Virtuose auf dem manchmal nur daumengroßen Mundeisen, sondern auch ein leidenschaftlicher Sammler. Rund 60 Instrumente aus Eisen, Edelstahl, Messing und sogar aus Bambusholz nennt er sein Eigen. Die kleinen Instrumente stammen aus aller Herren Länder, aus den USA, England, Italien und Ungarn, aber auch aus Jakutien (Sibirien), Tadschikistan, Japan, Malaysia und Papua-Neuguinea. Die meisten Maultrommeln erwirbt der Bad Oberdorfer auf internationalen Treffen, zuletzt auf dem Maultrommel-Weltkongress 1998 in Oberösterreich. Besonders stolz ist er auf eine mit rund 20 Zentimetern Länge recht stattliche hölzerne Maultrommel aus Papua-Neuguinea, die ihm über einen Wertacher zugespielt wurde, dessen Frau aus dem fernen Land stammt. Das Glanzstück seiner Sammlung ist für den Musikliebhaber eine kleine unansehnliche, halb verrostete Orgel, deren Herzstück, die Feder, bereits abgebrochen ist. Ein Fundstück aus Bad Oberdorf, erzählt Hüttlinger stolz. Er schätzt das Alter der historischen Maultrommel auf rund 150 Jahre, und sie stammt wohl aus einer Nagelschmiede im Ostrachtal.

    Noch ältere Funde weltweit beweisen, dass es Maultrommeln schon vor 2000 Jahren gegeben hat. Sie dienten zu allen Zeiten höchst unterschiedlichen Zwecken. Noch heute halten afrikanische Schafhirten ihre Herde mit den klangvollen Tönen zusammen, in Jakutien wird damit die Verbindung zur Götterwelt geschaffen, in Europa lockten einst die Burschen mit den süßen Klängen ihre Herzallerliebste, was promt die Kirche auf den Plan rief, die dem teuflischen Instrument eine erotisierende Wirkung zugestand und es verbot. Das ist lange her. Heute gilt die Maultrommel als selten gespieltes, aber gern gehörtes Instrument in der Volksmusik, aber auch in klassischen Konzerten. Hüttlinger, bekannt als Mitglied der Raffele-Musik Hüttlinger-Milz, benutzt eigens für ihn von Hand gefertigte Maultrommeln aus einem alten Betrieb in Molln in Oberösterreich. Aber zum Vergnügen greift er auch schon mal zu einem seiner Sammlerstücke. Jedes Instrument, das Naturtöne über zwei Oktaven hervorbringen kann, klingt anders, die hölzernen Maulharfen haben einen eher weichen Ton, die stählernen aus Sibirien klingen heller, die eisernen, die im europäischen Raum üblich sind, etwas voller. Allerdings: Die Tonerzeugung ist schwieriger, als der Laie glaubt. Wer intensiv übt, schätzt Hüttlinger, braucht schon ein halbes Jahr, bis er einfache Stücke spielen kann. Das Instrument wird an den Zähnen angesetzt, die Feder mit dem Finger gezupft. Anfänger, schmunzelt der Bad Oberdorfer, holen sich da schon mal blutige Lippen. Die Töne werden durch Zwerchfell, Rachen, Gaumen, Wangen und Zunge variiert. Über eines sollte ein Maultrommelspieler aber auf jeden Fall verfügen, weiß der Experte: Gesunde Zähne!

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