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An der Bahnlinie war damals Feierabend

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An der Bahnlinie war damals Feierabend

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    Von Reinhold Löchle, Marktoberdorf - Motive aus exotischen Ländern, präsentiert in einer Super-Multivisionsshow - nein, das hat Peter Herbst nicht notwendig, um den Saal mit Besuchern voll zu bekommen. Er greift 'einfach' in seine Regale mit den vielen Diamagazinen, wählt aus der Fülle der Bilder, die sein Großvater Anton und sein Ur-Großvater Josef Hotter aufgenommen haben, die eindrucksvollsten aus, schiebt sie in seinen Projektor - und schon beginnt die Zeitreise zurück ins alte Oberdorf zwischen 1960 und 1890. Das Motto dieser historischen Exkursion zum diesjährigen Stadtjubiläum: 'Es war einmal - Oberdorf in alten Ansichten.' Und schnell wird es ein gemeinsamer Ausflug des Oberdorfer Fotografenmeisters und seiner Zuschauer. Denn Herbst schafft es scheinbar spielend, das Publikum in seinen Vortrag miteinzubeziehen, indem er mal nach Namen, mal nach Straßenbezeichnungen fragt, an dies und jenes erinnert, um einen Kommentar nie verlegen ist. Etwa 150 Zuschauer sitzen in der Aula der Realschule, es ist kurz nach 20 Uhr. Peter Herbst projeziert gerade das dritte von vielleicht 150 Dias auf die Leinwand, als Unruhe unter den Besuchern aufkommt. Herbst weiß den Namen eines abgebildeten Paares nicht! Doch die Dame vorne links im Saal klärt schnell die Situation: Das waren doch die Soundso Alle klatschen begeistert. Es wird ein unruhiger Abend. Ständig wird getuschelt und gemurmelt, nachgefragt, mal hier, mal dort ein Zwischenruf. Das Publikum ergänzt gewissermaßen den Diavortrag. Herbst zeigt, wo die Stadt, besser das Dorf oder der Markt, einst aufhörte: 'An der Bahnlinie war Feierabend.' Oder wo früher noch Wiesen und Weiden waren: 'Da müsste man sich die Tanellerstraße denken.' Oder wo einst Badefreuden herrschten: im 13-Quellenbad an der Wertach mit Kiosk und Brücke übern Fluss. Man sieht Schindelmacher, einen waghalsigen Piloten in einem am Ortsrand gelandeten Doppeldecker, den früheren Bundespräsidenten Theodor Heuss bei seinem Besuch in Marktoberdorf im Juli 1953 (und im Hintergrund einen Japaner oder Chinesen, den Peter Herbst, verflixt noch mal, nicht kennt). Wir sehen eine Nazi-Versammlung, die Abfahrt eines Freicorps nach Landsberg, zwei Tanzbären auf dem Jahrmarkt und den schon früher recht großen Wochenmarkt. Und wir erfahren zum Beispiel, dass dort, wo heute Optik Matt zu finden ist, die Eisenhandlung Karl Karg ihr Geschäft hatte.

    Vom Armenhaus zum Landratsamt Am heutigen Standort des Landratsamtes war einst das Armenhaus - vielleicht ist ja deshalb der Landkreis so arm. Wir erkennen, dass unsere Vorfahren gerne Blumenkästen vor die Fenster stellten und werden daran erinnert, dass in den Sechzigern ein Großfeuer das Schloss teilweise vernichtete. Der kleine Peter Herbst hat übrigens damals seinen Großvater alarmiert, der dann einfach die Kunden im Laden stehen ließ und mit der Kamera in Richtung Brandort rannte Dann und wann ist ein nicht zu überhörendes Seufzen zu vernehmen: Dann zeigt Herbst gerade ein Foto eines schönen Hauses, das irgendwann der Spitzhacke zum Opfer fiel. In der Tat gab es damals etliche Häuser im Markt, auf die die Oberdorfer auch heute noch stolz sein könnten. Manchmal ist aber schon auf dem nächsten Dia erkennbar, dass der Ort auch viele heruntergekommene Häuser hatte und manche Quartiere einen recht ärmlichen Eindruck hinterließen. Es sei ein 'seltener Glücksfall', dass das bereits in der vierten Generation geführte Fotohaus Hotter diese Vielzahl von Bildern gesammelt habe, sagte Herbert Wittmann vom Vorstand der Volkshochschule in seiner Begrüßung. Die vielen Fotos, die zum Teil aufwändig restauriert und umkopiert werden mussten, um sie für die Nachwelt zu erhalten, machten einmal mehr deutlich, dass die 'alten' Fotografen ihr Handwerk bestens verstanden, ja Künstler waren. Und sie waren schon damals trickreich. Auf einigen Postkartenmotiven, die Peter Herbst vorstellte, waren Bergkulissen zu sehen, die dort nun wirklich nicht hingehörten. Ja, man habe eben schon damals 'beschissen', meint dazu Peter Herbst verschmitzt. Und weiter: 'Da kann man leicht sagen, dass es früher schöner war. Aber es hat auch nicht alles gestimmt.'

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