Es gibt so Geschichten, die müssen einfach erzählt werden. Sie wirken wie Meilensteine im Laufe eines Lebens. London Covent Garden, im Jahre 1977: Die Sopranistin Hildegard Heichele steckt mitten in den Kostümproben zu Johann Strauss’ Fledermaus, wo sie in ein paar Tagen die Adele spielen soll. Plötzlich schwingt die Garderobentür auf, und sie wird von einer aufgeregten Mitarbeiterin des Hauses mit folgender Frage konfrontiert: 'Teresa Stratas hat soeben für eine Gala abgesagt, die in vier Stunden beginnt. Kannst du einspringen und die Susanna in Figaros Hochzeit übernehmen?'
Auch dies hat ihr die Mitarbeiterin noch mitgeteilt: Am Pult steht Stardirigent Karl Böhm, einer ihrer musikalischen Partner wird Hermann Prey sein. Das sind Momente im Leben eines Künstlers, die man sich für gewöhnlich in Träumen ausmalt. 'Wenn sie plötzlich real auf einen zukommen, weiß man zunächst gar nicht, was man machen soll', gesteht die Sängerin, die heute den Doppelnamen Schwab-Heichele trägt und sich am robusten Holztisch ihrer Wohnküche auf dem Ogelhof in Altusried an diese Geschichte erinnert.
Nun, Hildegard Heichele ist damals zu einer Entscheidung gekommen: Sie sagt Ja, verlangt eine Stunde lang absolute Ruhe, ein Klavier, die Partitur und notiert sich ein paar Fragen für den Regieassistenten. Dann hat sie diese einmalige Chance mutig beim Schopf gepackt.
'Weil ich die Rolle der Susanna zuvor zigmal gespielt und einfach gut drauf hatte', wie sie sagt.
Viel Applaus und viel Lob

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Das Ergebnis dieser Hauruck-Aktion? Schwab-Heichele: 'Viel Applaus, viel Lob und ein Karl Böhm, den ich offensichtlich beeindruckt hatte.' Jedenfalls sollte es nicht die einzige Zusammenarbeit zwischen ihm und ihr bleiben. Böhm wünschte sich diese Sängerin danach noch ein paar Mal an seine Seite. Zum Beispiel bei seiner letzten Premiere Anfang der 1980er Jahre an der Wiener Staatsoper. 'Es war ein Erlebnis mit ihm', schwärmt Schwab-Heichele. 'Wenn er dirigierte, war alles stimmig und so einheitlich.'
Ja ja, die Erinnerungen an ein ereignisreiches und mitunter spannendes Arbeitsleben. In diesen Tagen sind sie wieder mal besonders präsent. Die gebürtige Unterfränkin Hildegard Schwab-Heichele, die es vor knapp 20 Jahren mit ihrer Familie ins Allgäu verschlagen hat, wird bald 65, und in diesem Alter geht man für gewöhnlich in Rente. Den Beruf der Opernsängerin, unter anderem mit festen Engagements an der Münchner Staatsoper (1971 bis 1974) oder an der Oper Frankfurt (insgesamt 14 Jahre), hat sie schon vor einiger Zeit aufgegeben. Vor allem wegen der Familie, wie die dreifache Mutter sagt. Die Arbeit als Leiterin des Musischen Zentrums in Altusried (MZA) wird sie nun ebenfalls beenden. Nach 19 Jahren.
'Wenn man das Gefühl hat, aufhören zu müssen, dann sollte man der inneren Stimme auch nachgeben', erklärt sie. Und sie sagt: 'Man muss mal andere Leute ans Ruder lassen.' Martina Schulz übernimmt die Geschäftsführung des MZA, während Pianist Ingmar Schwindt künftig für die künstlerische Leitung verantwortlich zeichnet. Natürlich gibt Hildegard Schwab-Heichele an diesem Vormittag im Gespräch mit unserer Zeitung auch viele Geschichten aus der Anfangszeit ihrer Musikschule preis. Sie erinnert sich an erste Gespräche im Ort, an die Vorstellung ihres Projekts bei Verantwortlichen der Gemeinde, an Pläne und Ideen. Nicht alle dieser Geschichten will sie in der Zeitung lesen.
Kampf gegen viele Widerstände
Keine Lust mehr auf alten Ärger und einstige Widerstände. Die freilich habe es durchaus gegeben, nach dem Motto: Weshalb braucht eine Gemeinde eine eigene Musikschule? Schwab-Heichele ließ sich nicht beirren und kämpfte gegen Widerstände an. 'Obwohl ich eigentlich ein harmoniesüchtiger Mensch bin.'
Dass eine Musikschule im Dorf durchaus nötig war, zeigt ein Blick auf die Karteikarten der Schule: Um die 180 Kinder und Jugendliche lassen sich heute an Instrumenten wie Klavier, Geige, Akkordeon, Querflöte, Gitarre, Klarinette, Schlagzeug, Gesang oder Ballett ausbilden.
'Ich glaube', sagt Hildegard Schwab-Heichele, 'dass wir darauf stolz sein können.' Eine Zahl, die zudem beweise, dass auch abseits großer Städte die Musik eine wichtige Rolle spiele und es lohnenswert ist, sich einer Herausforderung zu stellen. Wie damals, 1977, im Londener Covent Garden, als plötzlich die Tür ihrer Garderobe aufschwang.
Im Rahmen des Schuljahresabschluss-Konzerts am Samstag, 14. Juli (11 Uhr), in der Aula der Mittelschule Altusried wird Hildegard Schwab-Heichele offiziell verabschiedet.