Alt steht für Reformen. Was widersprüchlich klingt, ist in der alt-katholischen Kirche normal. Denn deren Name trügt. Befindet sie sich doch seit ihrer Gründung 1870 im Wandel . Und diese Reformen bringen ihr laut Michael Edenhofer stetig neue Anhänger. "Bei uns klopfen oft die an, die mit der römisch-katholischen Kirche nicht mehr klar kommen", sagt der Pfarrer der alt-katholischen Gemeinde Kempten - früher übrigens selbst römisch-katholischer Priester. Sie deckt das Allgäu ohne Ostallgäu ab. Das gehört zur Gemeinde Kaufbeuren-Neugablonz.
Die meisten seiner Gemeindemitglieder sind laut Edenhofer übergetreten, weil ihnen "die Stellung der Frau in der römisch-katholischen Kirche, das Zölibat und die fehlende Mitbestimmungsmöglichkeit nicht gefallen". Michael Hofer etwa wurde alt-katholisch, nachdem "ich erfahren habe, dass die Kirche einem römisch-katholischen Pfarrer bis zu drei Kinder finanziert. Man kann nicht vorn rum so reden und sich hintenrum anders verhalten", kritisiert er die Ehelosigkeit (Zölibat). Alt-katholische Pfarrer können sich frei für oder gegen die Ehe entscheiden.
Auch für die Geschiedene Myriam Wenzler wurde die alt-katholische Kirche zur neuen Heimat. "Ich war geschockt, dass ich nach der Scheidung nicht mehr zur Kommunion durfte und für die römisch-katholische Kirche ein Mensch zweiter Klasse geworden war ", sagt sie. Bei den Alt-Katholiken darf sie weiter die Eucharistie empfangen und wieder kirchlich heiraten.
Um durchschnittlich acht bis zehn Personen jährlich ist die alt-katholische Gemeinde Kempten in den vergangenen zehn Jahren laut Edenhofer gewachsen. Das entspricht rund drei Prozent. Derzeit zählt sie circa 240 Mitglieder. Edenhofer rechnet damit, dass der Anstieg anhält. Austritte gebe es kaum. Die alt-katholische Gemeinde in Kaufbeuren-Neugablonz hat laut Edenhofer ewa 400 Mitglieder. "Dort spielen die nach dem Krieg zugewanderten Sudetendeutschen, unter denen viele Alt-Katholiken waren, eine große Rolle", sagt er.
Wie hoch die Zuwächse ausfallen ist laut Edenhofer regional verschieden. In Städten etwa treten die Leute schneller über als auf dem Land. Eine Entscheidung in Glaubensdingen mache sich aber niemand leicht. Stefan Pingel kennt das. "Ich habe mich in der römisch-katholischen Kirche nicht mehr aufgehoben gefühlt. Aber ganz austreten kam nicht in Frage. Schließlich bin ich in der Tradition der Kirche aufgewachsen", sagt er.
Doch auch wer sich nicht wie er zum Übertritt entschließt, ist bei alt-katholischen Gottesdiensten willkommen. "Wir wollen Barrieren abbauen. Wir Christen gehören doch zusammen", betont Edenhofer.